Muss ich denn schon wieder verreisen?
anrufen«, legte sie los, bevor ich überhaupt zu Wort gekommen war. »Kannst du bei der Bank noch ein paar Dollar einwechseln? Trinkgeld für Kofferträger und so weiter, du weißt schon.«
»Wahrscheinlich brauche ich gar keinen, weil ich nämlich nicht mitkommen kann.«
Pause. Und dann: »Hat sich diesmal Nicki was getan?«
Eine naheliegende Vermutung. Nicht nur Steffi selbst hatte mir schon zwei Kurztrips vermasselt, weil sie sich einmal den Arm gebrochen und das zweitemal einen Bänderriß zugezogen hatte. Zum Klassentreffen hatte ich damals auch nicht fahren können, denn Rolf war einen Tag vorher mit Blinddarmentzündung ins Krankenhaus gekommen, und Katja hatte ihren Tanzstunden-Abschlußball als Zuschauerin auf zwei Stühlen miterlebt. Den anderen hatte sie für ihr Gipsbein gebraucht. »Nein, bis jetzt sind alle noch gesund, aber ich habe morgen abend eine Lesung in M.«
»Absagen!« befahl Steffi sofort.
»Geht nicht. Jedenfalls nicht so kurzfristig.«
»Warum denn nicht? Deine geschwollene Backe oder was immer du dir als Ausrede einfallen läßt, sieht man doch am Telefon nicht.«
»Das mache ich nicht, das ist unfair. Außerdem steht der Termin seit September fest, da kann ich nicht vierundzwanzig Stunden vorher einen Rückzieher machen.«
»Laß mich mal überlegen«, sagte sie. »Irgendwie kriegen wir das auch noch auf die Reihe. Wann fängt denn das Spektakel an?«
»Abends um acht.«
»Kein Problem. Bis M. sind es ungefähr siebzig Kilometer, also brauchst du keine Übernachtung. Ich fahre dich. Sofern es in der Nähe keine Eisdiele gibt, höre ich mir sogar dein Gelaber an, und danach gondeln wir gemütlich nach Hause. Deine Vorliebe für nächtliche Autofahrten sind mir ja hinreichend bekannt. Einverstanden?« Und ob! Eine Frage hatte sie allerdings noch. »Wieso ist dir der Termin erst heute eingefallen? Hat sich die Buchladentante in der Zwischenzeit nicht mal gemeldet?«
Das allerdings hatte mich auch gewundert. Ein weiteres Telefongespräch klärte die Lage. Zweimal habe man bereits versucht, mich zu erreichen, nur sei wohl immer eine meiner Töchter am Apparat gewesen. Habe sie denn nicht ausgerichtet, daß man um einen Rückruf gebeten habe? Da sei nämlich noch was. Die örtliche Presse sei an einem Interview interessiert, und ob ich nicht vielleicht schon um halb sechs in M. sein könne?
Auf die zwei Stunden kam es nun auch nicht mehr an. Ich erklärte mein Einverständnis, informierte Steffi über die Programmänderung und wartete auf die Heimkehr der Zwillinge. Katja gab sofort zu, daß da »neulich mal jemand für dich angerufen« habe, und Nicki konnte sich ebenfalls erinnern. »Das war, als du bei Frau Bettin zum Kaffeetrinken warst. Nachher bin ich nicht mehr dagewesen, und später habe ich das irgendwie vergessen.«
»Nach zwölf Jahren Schulbesuch sollte man eigentlich erwarten können, daß ihr in der Lage seid, ein Telefongespräch anzunehmen und in Stichworten schriftlich zu fixieren.«
»Ja, das sollte man wirklich«, bestätigte sie, womit die Angelegenheit erledigt war.
Die meisten Menschen kennen Interviews nur vom Bildschirm her, wenn genervten Politikern beim Verlassen des Plenarsaals ein halbes Dutzend Mikrofone vors Gesicht gehalten werden, in die sie dann viele Worte mit wenig Inhalt stammeln. Einem solchen Überfall brauchte ich zum Glück nicht standzuhalten, doch es gibt ja auch noch die ganz persönlichen Interviews, und bei denen ist man vor Überraschungen nie sicher.
Sofern sich die verkaufte Auflage ihrer Bücher mit deren Herstellungskosten in etwa die Waage hält und vielleicht sogar Gewinn erzielt, werden Autoren von ihren Verlagen zu Lesungen animiert, in der Hoffnung, die daran interessierten Zuhörer bringen zur anschließenden Autogrammstunde nicht nur bereits vier Jahre alte und schon etwas zerlesene Exemplare mit, sondern erwerben auch das neueste Werk des Autors.
Hat er sich zu einer derartigen Veranstaltung bereit gefunden, wird die Lokalpresse über Zeit und Ort dieses kulturellen Ereignisses informiert mit dem Zusatz, der Autor stehe selbstverständlich zu einem persönlichen Gespräch zur Verfügung. In der Regel erfährt der Betroffene von dem geplanten Interview erst dann etwas, wenn er nach drei Stunden Autofahrt endlich sein Hotel gefunden hat und zusammen mit dem Zimmerschlüssel die Nachricht bekommt, daß er bitte Frau Müller vom Heimatboten anrufen möchte. Als höflicher Mensch tut er das auch, woraufhin ihm Frau Müller
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