Muss ich denn schon wieder verreisen?
erklärt, sie habe eigentlich gar keine Zeit, und wenn, dann höchstens so gegen 16 Uhr, und ob das gehe. Doch, das lasse sich einrichten, bestätigt der Autor. Daß er bis zur abendlichen Lesung sowieso nichts zu tun hat, sagt er natürlich nicht.
Pünktlich zur verabredeten Zeit sitzt der Autor – in diesem Fall also eine Autorin – im angegebenen Café. Zwar kennt sie ihre künftige Gesprächspartnerin nicht, doch die wird sich durch einen Heimatboten, den sie in der Hand trägt, ausweisen.
Nach zehn Minuten tritt eine etwas zu rothaarige Dame durch die Tür, schreitet erst zur Kuchentheke und dann in Richtung Tische. Die Zeitung hat sie zusammengefaltet unter den Arm geklemmt. Die Autorin hebt zaghaft die Hand, wird bemerkt – alles in Ordnung.
Das einleitende Gespräch über das regnerische Wetter wird von der Bedienung unterbrochen. Zwei Kännchen Kaffee bitte und den Kuchen für Frau Müller.
Bei Käsesahnetorte geht es dann richtig los. »Sie müssen schon entschuldigen, aber bis heute hatte ich noch nie etwas von Ihnen gehört und schon gar nicht gelesen.«
Die Autorin versichert glaubhaft, daß das keineswegs eine Bildungslücke sei. Frau Müller nimmt einen Schluck Kaffee. »Was für Bücher schreiben Sie überhaupt?«
Die Autorin beginnt sich zu wundern, weiß sie doch genau, daß die recht rührige PR-Abteilung ihres Verlags auch der Redaktion vom Heimatboten eine Pressemappe zugeschickt hat, aus der alles vermeintlich Wichtige über die Autorin und deren Werk ersichtlich ist. Trotzdem erklärt sie ihrem Gegenüber geduldig, daß sie heitere Bücher schreibe, und zwar über die eigene Familie.
Frau Müller nimmt das nicht bloß zur Kenntnis, sie notiert es sogar auf einem mitgebrachten Zettel von Notizblockgröße. »Ich schreibe mir nur das Wichtigste auf, alles andere behalte ich auch so.«
Der Kuchen ist alle, Frau Müller schiebt den Teller zur Seite und fragt weiter: »Sind Sie eigentlich verheiratet?«
Jetzt verschlägt es der Autorin doch die Sprache. Da hat sie nun schon ein halbes Dutzend Bücher über ihre Sippe geschrieben und ihre Leser mit detaillierten Schilderungen über die Aufzucht ihres fünffachen Nachwuchses strapaziert, und nun wird sie tatsächlich gefragt, ob sie denn auch einen Ehemann habe.
Zugegeben, sie trägt keinen Trauring, doch daraus Rückschlüsse auf ein Single-Dasein zu ziehen, erscheint denn doch ein bißchen zu gewagt. Also bestätigt sie, daß sie seit neunundzwanzig Jahren einen Mann und darüber hinaus auch fünf Kinder habe.
Frau Müller nimmt das überrascht zur Kenntnis. Zwar sei sie selbst auch verehelicht, sogar mit einem Künstler, nur Kinder habe sie nicht. Aber sie sei viermalige Tante, weil nämlich ihre Schwester…
Es folgt eine viertelstündige Erläuterung der Familienverhältnisse von Frau Müller, denn außer der Schwester gibt es noch einen angeheirateten Schwager mit ebenfalls drei Nachkommen, von denen der älteste in die Fußstapfen des Onkels trete. Besagter Onkel, nämlich der Gatte von Frau Müller, betreibe eine Galerie. Sogar recht erfolgreich, denn erst unlängst habe er eine Ausstellung des Malers Y arrangiert. Auch der sehr begabte Nachwuchskünstler Z habe schon seine Werke präsentiert, und demnächst werde…
Die Autorin vernimmt Namen, die sie noch nie gehört hat, sieht zwischendurch verstohlen auf die Uhr; winkt schließlich der Bedienung und bestellt ein weiteres Kännchen Kaffee. Nein, lieber zwei, Frau Müller möchte auch noch eins. Außerdem will sie wissen, aus welcher Gegend die Autorin komme, da sie jeglichen Dialekteinschlag vermissen lasse.
Der Befragten war jedoch schon nach den ersten Sätzen klargeworden, daß die Interviewerin an der Spree aufgewachsen sein mußte, also dort, wo auch die Autorin Kindheit und Jugend verlebt hat. Soll sie es sagen? Sie tut es und bereut es sofort. Frau Müller kommt aus Spandau, hat bis vor zwei Jahren in Berlin gewohnt, und erst als ihr Mann die Galerie…
Die Autorin erfährt Details über Wohnungssuche, Umzug und Integrationsschwierigkeiten und bemüht sich vergeblich, das Gespräch in die ursprünglich vorgesehene Richtung zu lenken. Schließlich resigniert sie.
Frau Müller ist inzwischen zu einer ausführlichen Schilderung ihrer Mitbewohner übergegangen und beendet ihren Monolog mit der Frage: »Wo waren wir eigentlich stehengeblieben?«
»Bei der Nachbarin mit den zwei Katzen.«
»Nein, ich meine doch bei Ihnen.« Sie wirft einen Blick auf ihren Zettel. »Sie
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