Muss ich denn schon wieder verreisen?
Klohäuschen. Die Möglichkeiten seien recht begrenzt…
Waltraud bedauerte. Sie müsse nun mal, und zwar dringend. Leider war die vierspurige Straße stark befahren und das bißchen Gestrüpp am Rand äußerst spärlich. Sämtliche Augen prüften jeden auftauchenden Busch auf seine Verwendbarkeit als Sichtschutz, und endlich fand sich einer, der bescheidenen Anforderungen genügen würde. Der Bus hielt, Waltraud verschwand hinter dem Grünzeug, Anneliese, unterstützt von Ännchen und Betti, die die günstige Gelegenheit auch gleich nützen wollten, bildeten eine Art Paravent, und nach fünf Minuten konnten wir weiterfahren.
Wenig später erneuter Halt in Netanya, das weder mit religiösen noch geschichtlichen Stätten aufwarten kann, dafür jedoch mehrere Banken hat, sehr verkehrsgünstig gelegen. Ich tauschte meinen ersten Reisescheck gegen eine Handvoll Scheine und zwei Hände voll Münzen, die zum Teil so winzig waren, daß sie immer in den Spitzen meiner Hosentaschen steckenblieben.
»Ist doch ganz einfach«, sagte Irene, das Kleingeld auf dem Sitz ausbreitend, »ein Schekel hat hundert Agorot, also wie bei uns Mark und Pfennige, und für zehn Mark kriegste…«
»Das weiß ich auch, aber welche von den Münzen sind Schekel und welche Agorot? Die Zahlen allein sagen gar nichts, die Schrift drum herum kann ich nicht lesen.« Ratlos drehte ich ein silbernes Geldstück von einer Seite auf die andere. »Sind das jetzt zehn Schekel oder zehn Agorot?«
In Caesarea hatten wir das Rätsel noch immer nicht gelöst. »Am besten bezahlen wir erst mal mit Scheinen. Anhand des Wechselgeldes werden wir das israelische Währungssystem schon ergründen.« Irene fegte die Münzen zusammen und stopfte sie ins Portemonnaie. »So, und jetzt gehen wir Altertümer besichtigen.«
Wieder mal als letzte kletterten wir aus dem Bus und folgten der Gruppe, die unter Hinterlassung einer dichten Staubwolke vor uns herzog. Marschrichtung Kreuzfahrerstadt.
Sie war beeindruckend. Jahrtausendealte Mauern, erhalten gebliebene Rundbögen, riesige Steinquader, zu Wällen aufeinandergetürmt, und wenn man genau hinguckt, kann man unter Wasser sogar noch Überreste der alten Hafenanlage erkennen.
»Wie haben die das damals bloß hingekriegt?« staunte Irene beim Anblick des gewaltigen Aquädukts, der die Wasserversorgung der Stadt gesichert hatte und noch heute ahnen läßt, mit welchen Anstrengungen die Errichtung des Bauwerks verbunden gewesen sein mußte. »Sieh dir bloß mal diese Bögen an! Kein Mörtel, keine Füllmasse, nur Steine, und die sitzen immer noch bombenfest. Und dann nimm mal unsere heutigen fantasielosen Spannbetonbrücken. Die reinsten Wegwerfartikel. Nach zehn Jahren kriegen sie die ersten Risse, fünf Jahre später werden sie wegen Reparaturarbeiten gesperrt, und schließlich reißt man sie wegen Baufälligkeit ab. Die halten doch nicht mal ein Jahrhundert lang!«
»Dafür haben sie auch nicht so viele Menschenleben gefordert wie zum Beispiel dieser Aquädukt«, sagte eine Stimme hinter uns. »Er dürfte überwiegend das Werk von Sklaven gewesen sein.«
Erschrocken drehte ich mich um. Frau Conrads, die Seniorenheimbewohnerin, sah uns lächelnd an. »Man spricht immer von den Kreuzfahrern, dabei wurde Caesarea schon im 4. Jahrhundert v. Chr. von den Phöniziern als Hafen gegründet. Erst 63 v. Chr. kam sie in römischen Besitz. Wenig später schenkte sie Kaiser Augustus an Herodes, der sie großzügig ausbauen ließ. Sie galt damals als prächtigste Stadt an der syrisch-palästinensischen Küste und wurde sogar Residenz von Pontius Pilatus. Nach weiteren hundertfünfzig Jahren hatte sich Caesarea zum Zentrum der Christen in Palästina entwickelt.
Im 7. Jahrhundert wurde es von den Arabern erobert, und erst sechzig Jahre danach kamen die Kreuzfahrer. Sie waren eigentlich die vorletzten Invasoren, denn nach ihnen eroberten die Mamelucken die Stadt und zerstörten sie. Mit den Ausgrabungen hat man vor etwa dreißig Jahren begonnen.«
»Sie haben sich aber gründlich auf diese Reise vorbereitet«, sagte ich beeindruckt, denn vorgehabt hatte ich das natürlich auch, mir sogar entsprechende Lektüre besorgt, doch kaum einen Blick hineingeworfen. Irgendwas war immer dazwischengekommen. Schließlich hatte ich mir eingeredet, daß ich alles Wissenswerte hinterher immer noch nachlesen und dann sogar bildlich umsetzen könnte. Nicht umsonst hatte ich bereits einen halben Film verknipst mit nur Mauern und gelegentlich ein
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