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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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jetzt dran?« Ein gestandenes Mannsbild von knapp zwei Zentnern Lebendgewicht, verteilt auf ungefähr einen Meter fünfundachtzig Länge, erhob sich. »I bin de Joseph Huber aus Kempten, und neben mir hockt mei Frau Maria. Tut’s net lache, mir hoaße wirklich so. Herg’fohrn san mir, weil man halt amol dortg’wese san muß im Heilige Land. I wollt ja net so arg, aba die Maria wollt’s halt sehn. Und der Herr Pfarrer find’s aach guat. Dem soll mer a Flascherl von dem Jordanwasser mitbringe fürs Taufbecken.«
    Die weißhaarige Dame neben mir machte es kurz und bündig. »Ich heiße Dorothea Conrads, lebe in einem Seniorenheim und habe die Reise gebucht, um das Land und vielleicht auch einige seiner Bewohner kennenzulernen.«
    Ich wollte gerade mein Sprüchlein aufsagen, als mir Irene einen Fußtritt verpaßte. »Laß mal, das mach ich!« Und dann legte sie los: »Wer von uns, außer vielleicht Frau Marquardt, weiß denn mehr über Israel, als wir in der Zeitung oder im Fernsehen lesen und hören. Ich jedenfalls nicht. Mir erscheinen die jüdischen Ansprüche auf dieses Land genauso begründet wie die der arabischen Bevölkerung. Als Berlinerin, deren Heimatstadt durch die unselige Mauer geteilt ist, kann ich die Problematik dieses Landes ein bißchen nachempfinden. Jetzt möchten meine Freundin und ich uns selbst ein Bild machen und zu verstehen versuchen, weshalb es hier keinen Frieden gibt. Deshalb haben wir auch sofort zugegriffen, als uns diese Reise angeboten wurde.«
    Schweigen. Und dann, völlig unerwartet, Applaus aus dem Hintergrund. Die Dame an der Rezeption, unverkennbar eine Jüdin, klatschte.
    »Selten habe ich jemanden so überzeugend schwindeln hören«, flüsterte ich Irene ins Ohr. »Wer hat dich denn tagelang telefonisch bekniet, bis du dich endlich zum Mitkommen entschlossen hast? Von wegen gleich zugegriffen! Den Mund hab’ ich mir fußlig geredet! Und die Blumenzwiebeln hast du auch unterschlagen!«
    »Die gehen ja keinen was an. Man muß eben Prioritäten setzen. Jetzt gelten wir als politisch motiviert und werden uns hoffentlich keine dämlichen Fragen anhören müssen, wenn wir die siebzehnte bis dreiundzwanzigste Kirche auslassen und statt dessen auf eigene Faust losziehen. Ich bin zwar katholisch, aber nicht vierundzwanzig Stunden am Tag.«
    Für die Bekenntnisse von Frau Elisabeth Hauser, Verkäuferin in einem Mannheimer Lederwarengeschäft, sowie Frau Verena Reutter, Kunstgewerblerin mit Spezialgebiet Seidenmalerei, brachte niemand mehr das nötige Interesse auf, so daß sich Frau Hauser direkt an die ihr zuständig erscheinende Person wandte. »Ich werde um eine Änderung des Arrangements bitten müssen, Frau Markert.«
    »Quardt.«
    »Entschuldigung, Frau Quardt, aber…«
    »Marquardt, nicht… kert«, sagte Frau Marquardt.
    »Ach so, na gut, aber ich glaube nicht, daß ich mit Fräulein Reutter auskommen werde.«
    Die beiden Damen hatten je ein halbes Doppelzimmer gebucht und mußten sich nun ein ganzes teilen, wobei sich die ersten Schwierigkeiten schon vor dem Abendessen ergeben hatten. Fräulein Reutter hatte die Fenster aufgerissen, Frau Hauser hatte sie wieder geschlossen mit der Bemerkung, die Nachtkühle am Meer sei besonders schädlich. Darüber hinaus müsse mit dem Einfall von Insekten gerechnet werden, und die wiederum seien mit Sicherheit Krankheitsträger. Zwar habe sie sich vorsichtshalber gegen Malaria, Cholera und Gelbfieber impfen lassen, doch es gebe ja noch die Schlafkrankheit, und auch die Pocken seien noch nicht endgültig ausgerottet, ganz zu schweigen von der Lepra. Immerhin sei man ja in den Tropen. Worauf Fräulein Reutter in ein unziemliches Gelächter ausgebrochen sei und behauptet habe, an frischer Luft sei noch niemand gestorben. Sie schlafe immer bei offenem Fenster. »Sie müssen doch einsehen, Frau Markert, daß es bei derart unterschiedlichen Auffassungen unweigerlich zu Diskrepanzen kommt.«
    Frau Marquardt sah das ein, doch zu helfen vermochte sie nicht. »Vielleicht können Sie sich ja so einigen, daß Sie die eine Nacht bei geöffnetem Fenster und die nächste bei geschlossenem schlafen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch etwas an der Rezeption zu erledigen.«
    Sie enteilte, und Irene, die ebenfalls in Hörweite gestanden hatte, zog mich zur Seite. »Weißt du, was mir eben klargeworden ist? Außer mit Hans und mal im Urlaub mit meiner Tochter habe ich noch nie mit jemandem in einem Zimmer geschlafen. Schnarchst du

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