Muss ich denn schon wieder verreisen?
eigentlich?«
»Nein.«
»Aber ich!«
Im Fahrstuhl nach oben fiel mir siedendheiß ein, daß ich ja noch immer vor meinem verschlossenen Koffer stehen würde. »Welchem der Männer würdest du am ehesten zutrauen, ein Schloß zu knacken?«
»Dem Bayern!« kam es sofort zurück.
Das Ehepaar Huber wohnte im Zimmer Nr. 327, also drei Türen neben uns, das hatte ich auf dem Schlüsselanhänger gesehen, mit dem Frau Maria unentwegt herumgespielt hatte. Auf mein schüchternes Klopfen hin wurde gleich geöffnet. Joseph, schon in Unterhemd und Hosenträgern, sah mich erstaunt an.
»Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber können Sie vielleicht ein verklemmtes Kofferschloß öffnen?«
»Jo mei, das hammer glei!«
»Wos is denn, Joseph?« tönte es aus dem Bad.
»Nix B’sonders. Die Frau kriagt ihr’n Koffer net auf, schau’n mir halt amol nach.«
Bereitwillig trabte er mit, ließ sich den Schlüssel geben, steckte ihn ins Schloß, drehte ihn millimeterweise nach links, ein leises Knacken war zu hören, und dann sprang der Deckel auf. »In die Finger mußt’s hab’n, des G’fühl. G’wolt nützt nix.« Sprach’s, wünschte uns angenehme Nachtruhe und verschwand.
»Was hältst du denn von unseren Mitreisenden?« wollte ich von Irene wissen, als ich aus der Dusche kam und in mein Nachthemd schlüpfte. Sie lag schon im Bett und blätterte die Zeitung durch, die sie aus der Halle mitgenommen hatte. »Ich dachte, es sei eine englische Ausgabe, war aber ein Irrtum. Sieh dir bloß diese Hieroglyphen an!« Sie warf die Zeitung auf den Boden. »Unsere Herde? Ziemlich gemischt, würde ich sagen. Dieses Individualisten-Pärchen scheint ganz in Ordnung zu sein, auch die ältereDame aus dem Seniorenheim und der lange Lulatsch aus Österreich, aber den Rest kannste wohl abhaken. Bei den meisten ist der geistige Horizont der Abstand zwischen Brett und Kopf.«
»Findest du nicht, daß du reichlich arrogant bist?«
Sofort schoß sie im Bett hoch. »Du weißt genau, daß das nicht stimmt, aber wenn jemand als Grund für diese Reise das warme Wetter angibt oder ein anderswo ausgebuchtes Hotel, dann kannst du dir doch ausrechnen, was du von dem zu erwarten hast. Nimm dagegen dieses bayrische Mannsbild! Das ist unkompliziert, geradeheraus, hat vielleicht erst im Atlas nachsehen müssen, wo Israel genau liegt, wird aber mit offenen Augen durch das Land gehen. Solche Menschen mag ich und nicht diese betuchten Stützen der Marktwirtschaft, wie sie der Architekt verkörpert.«
»Von denen lebst du aber«, erinnerte ich sie.
»Muß ich sie deshalb alle lieben?«
5
Der erste Morgen im Heiligen Land begann mit einem sehr unchristlichen Fluch. »Verdammter Mist, der Wecker hat nicht geklingelt!«
»Warum nicht?« murmelte ich noch im Halbschlaf.
»Weil er stehengeblieben ist. Wie spät ist es?«
Ich sah auf meine Armbanduhr »Zwanzig nach sieben.«
»Schon wieder nicht pünktlich!« Irene kroch aus dem Bett und tappte ins Bad. »Um halb acht sollen wir mit gepackten Koffern im Speisesaal sein.«
Während hinter mir die Dusche gluckerte, putzte ich mir die Zähne und warf dabei einen Blick in den Spiegel. Das hätte ich lieber bleibenlassen sollen. Zwar war ich vorgestern noch beim Friseur gewesen und hatte mir einen ›Urlaubsschnitt‹ verpassen lassen, der auch in luftgetrocknetem Zustand noch ganz passabel aussehen sollte, doch etwas mußte schiefgelaufen sein; meine Haare standen vom Kopf ab wie die Borsten eines oft benutzten Schrubbers. »Mach dir nichts draus«, sagte Irene tröstend, während sie mich mit einer Ladung Spray einnebelte, »wir sind jetzt in dem Alter, in dem man in einem Schönheitssalon sitzen kann, solange man will, man kommt immer raus, als wäre man nicht bedient worden. So, und jetzt geh mal mit der Bürste durch!« Ich tat es und sah nun aus wie ein Igel.
Zehn Minuten vor acht schoben wir unser Gepäck in den Fahrstuhl. »Wir sind bestimmt wieder die letzten«, schimpfte ich. »Allmählich wird das peinlich.«
»Ach was, wenn man pünktlich ist, ist ja meistens noch niemand da, der es zur Kenntnis nehmen kann.«
Natürlich waren schon alle da, und ebenso natürlich zogen wir sämtliche Blicke auf uns, als wir den Speisesaal betraten. Diesmal war es der große, in dessen Mitte das Büfett aufgebaut war. Leider gehöre ich nicht zu den beneidenswerten Menschen, deren Mägen schon am frühen Morgen enorme Aufnahmekapazität erreichen und ein komplettes Menü verkraften können, was in
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