Muss ich denn schon wieder verreisen?
was Elena sagte, bevor sie uns darüber aufklärte, daß ihr Mann Bergsteiger sei und noch vor zwei Jahren »einen Viertausender gemacht« habe.
»Das hätten Sie aber wirklich vorher sagen können!« Richtig vorwurfsvoll klang Anneliese, wobei ich das Gefühl hatte, so ein ganz kleiner Unfall, bei dem sie fachmännisch Erste Hilfe hätte leisten können, hätte ihr ganz gut in den Kram gepaßt. Bisher hatte sie noch nicht den erwünschten Anschluß gefunden, sondern trottete zusammen mit Schwester Waltraud ergeben hinter dem Troß her. Lediglich Betti richtete ab und zu das Wort an sie, erhoffte sie sich doch eine gleichgesinnte Seele, bei der sie ihre Klagelieder über die Doppelzimmerhälfte loswerden konnte. Allerdings schlief Anneliese auch bei geöffnetem Fenster und brachte nicht das nötige Verständnis für Bettis Frischluftängste auf.
Offenbar hatten sich noch gestern abend oder spätestens heute beim Frühstück die ersten Splittergruppen gebildet.
Jens und Robert, die beiden Yuppies, fühlten sich zu dem Architektenpaar hingezogen, wobei ich mir nicht darüber im klaren war, ob sie sich einen neuen Kunden oder das Gegenteil, nämlich den Grundriß für ein standesgemäßes Eigenheim erhofften; Anlagenberater wohnen nur in den ersten Jahren ihres Erwerbslebens zur Miete!
Gustl und Hanni, die beiden Individualisten, hatten sich mit Gregor und der Seidenmalerin angefreundet, während Alberto und Elena die Huber-Maria unter ihre Fittiche genommen hatten, schon wegen der christlichen Übereinstimmung. Ans Jordanwasser hatte Elena nämlich gar nicht gedacht, doch sie würde die leere Mineralwasserflasche aufheben. Sepp, von der Dreieinigkeit nicht so unbedingt beglückt, stiefelte meistens allein und mit ein paar Metern Abstand hinterher.
Nur Heini und Ännchen schienen noch nicht recht zu wissen, wem sie sich anschließen sollten. Vielleicht hatten sie auch noch keine Zeit dazu gefunden. Heini war pausenlos mit seinen beiden Fotoapparaten und der Videokamera beschäftigt, und Ännchen war permanent auf der Suche nach besonders fotogenen Mauerresten, vor denen sie abgelichtet werden wollte. »Hoini, die Säule do drüwe, hosch die scho? Noi? Donn stell’ ich mich davor, gell? Des gibt ä schees Bildle.«
»Nur eine hohe Säule zeugt von vergang’ner Pracht, auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.« Anneliese hatte auch diesmal etwas Passendes in ihrem Zitatenschatz gefunden.
Nachdem der Kletterkünstler wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sämtliche Kameras, Getränkeflaschen und Kekspackungen verstaut und die schon etwas Ruhebedürftigen von ihren steinernen Sitzplätzen hochgescheucht worden waren, formierten wir uns zum Abmarsch. Menachem bildete die Nachhut, und weil Irene und ich ständig und überall die letzten waren, ergab es sich automatisch, daß wir ins Gespräch kamen. Er wollte wissen, wie es jetzt in Berlin aussehe, er sei ein paarmal als Kind dort gewesen, und wir wollten wissen, wo er wohne und wie lange er diesen Job als Fremdenführer schon mache. Er erzählte, daß er in Jerusalem zu Hause sei, dort lebe seine Familie, daß er zwei Söhne habe, die jetzt sein in der Neustadt gelegenes Restaurant führen, und er sich nur hin und wieder als Cicerone betätige, einfach, weil es ihm Spaß mache.
Dann erreichten wir den Bus, und damit war der Informationsaustausch erst einmal zu Ende. Einige Kilometer fuhren wir noch an der Küste entlang, danach ging es rechts ab ins Landesinnere zum nächsten Ziel: dem Karmel, auch Garten Gottes genannt, und den Drusendörfern. Der Karmel ist ein etwa zwanzig Kilometer langer Bergzug, von dem ich nur wußte, daß dort im 12. Jahrhundert die Karmeliter ihr erstes Kloster gegründet hatten und ein hervorragender Wein angebaut wird. Ob beides in ursächlichem Zusammenhang steht, kann ich nicht sagen; aber Mönche hatten ja schon seit jeher ein recht inniges Verhältnis zu Hochprozentigem. Man denke nur an die Klosterliköre, vor allem an den süffigen Chartreuse. Von den Drusen dagegen wußte’ ich nichts.
»Was weißt du über die Drusen?«
»Frag mich was Leichteres«, sagte Irene achselzuckend. »Gehört habe ich schon davon, aber ich krieg’s nicht mehr auf die Reihe. Ein Volksstamm, eine Sekte – irgend so was muß es sein.«
»Sie liegen beinahe richtig.« Zierlich, wie sie war, hatten wir Frau Conrads hinter den hohen Kopfstützen gar nicht bemerkt. »Bei den Drusen handelt es sich tatsächlich um eine etwa
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