Muss ich denn schon wieder verreisen?
winkte sie ab, »das Beste kommt erst noch. Wir sind nämlich lesbisch!«
»Was?«
»Jawoll! Weil wir uns immer absondern, was ja auch stimmt, denn meistens ziehen wir doch hinter dem Troß her, weil wir uns im Bus separat gesetzt haben und weil wir offensichtlich unzertrennlich sind. Heute abend waren wir ja auch wieder verschwunden, statt im Keller zu sitzen und uns über die kommende Frühjahrsmode zu unterhalten. Die meisten hocken nämlich immer noch unten.«
»Ist das alles?«
Sie nickte. »Anscheinend reichen diese Indizien, um die Fantasie der Klatschmäuler zu beflügeln. Ich habe ja schon so etwas geahnt, als ich vorhin am Fluß in das Gespräch zwischen den beiden Schwestern platzte. Die konnten gar nicht schnell genug das Thema wechseln.«
Irene schien sich köstlich zu amüsieren. Ich weniger. »Am liebsten würde ich jetzt runtergehen und die Sache aufklären.«
»Das wirst du schön bleibenlassen!« sagte sie sofort. »Ganz im Gegenteil, jetzt werden wir ihnen erst recht etwas zum Lästern geben.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Du bist doch sonst nicht so begriffsstutzig!« Sie stand auf und trat zu mir ans Fenster. »Wir werden dieser lüsternen Meute ganz einfach etwas vorspielen. Ich weiß zwar nicht genau, wie man sich als Lesbe zu benehmen hat, doch so schwer kann das, ja nicht sein. Händchen halten, mal über den Kopf streichen, liebevolle Aufmerksamkeit… das kriegen wir schon irgendwie hin. Nur übertreiben dürfen wir nicht, sonst fällt’s auf. Es sind ja nicht alle so behämmert wie die beiden Lodentanten.«
So richtig schmeckte mir die Sache nicht. Auf der einen Seite reizte sie mich, auf der anderen Seite fand ich es gar nicht so lustig, in einem Dutzend Fotoalben verewigt und jedem Betrachter als ›die und die daneben waren unser Lesben-Pärchen, richtig niedlich, die zwei‹ klassifiziert zu werden. Nicht umsonst hatten wir uns alle schon zu zahllosen Gruppenaufnahmen formieren müssen.
Irene zerstreute meine Bedenken. »Am letzten Tag gibt es doch immer so eine Art Abschiedsfeier mit Adressentausch und allgemeiner Verbrüderung, die ja teilweise schon jetzt stattgefunden hat. Ich glaube, der halbe Bus duzt sich bereits. Dann rücken wir eben mit der Wahrheit heraus.«
»Und du glaubst, die nimmt uns dann noch jemand ab?«
»Wer nicht will, soll’s bleibenlassen«, meinte sie gleichmütig. »Auf jeden Fall müssen wir unsere beiden Herdenführer einweihen, sonst machen die uns ungewollt einen Strich durch die Rechnung.«
»Frau Conrads werden wir auch nicht hinters Licht führen können. Sie hat mich nämlich gestern in der ulkigen Teestube gefragt, woher wir beide uns kennen würden, und als ich ihr sagte, daß wir schon zusammen eingeschult worden seien, hatte sie noch gemeint, daß Kinderfreundschaften selten Bestand haben, wenn man nicht in derselben Stadt wohne.«
»Also gut, weihen wir die Frau Studienrätin auch noch ein«, gestattete Irene. »Sie macht mir ohnehin den Eindruck, als ob sie’s faustdick hinter den Ohren hätte. Stille Wasser und so weiter.« Sie schloß das Fenster und zog den Vorhang zu. »Jetzt sollten wir allmählich in die Heia gehen, Herzchen. Morgen müssen wir viel Christliches besichtigen, das wird anstrengend.«
»Dafür haben wir nachmittags frei.« »Gott sei Dank.«
7
Daß wir grundsätzlich als letzte zum Frühstück erschienen, regte niemanden mehr auf; daß wir Hand in Hand den Speisesaal betraten, geschah zum erstenmal und wurde teils mit Kopfschütteln, teils mit beziehungsreichen Blicken aufgenommen. Nur Frau Conrads hob fragend die Augenbrauen. Sie schien etwas überrascht.
Im Gegensatz zu Irene hatte ich mit meiner neuen Rolle noch Schwierigkeiten. Als ich vom Büfett ein Glas Saft holen wollte, sprang sie sofort auf. »Bleib sitzen, ich mache das schon.«
»Warum denn? Ich habe doch auch zwei Beine bis zum Boden.«
»Aber du hast heute nacht so schlecht geschlafen.« Das war mir neu. Wach geworden war ich erst durch das enervierende Weckergebimmel, und bis dahin hätte man mich samt Bett auf dem See Genezareth aussetzen können.
Ach ja, der See. Wir würden ihn mit einem Dampfer überqueren und dann nur noch auf den Spuren unseres Herrn wandeln, wie Elena der andächtig zuhörenden Huber-Maria erklärte. Alberto legte einen neuen Film in seinen Apparat und steckte einen zweiten als Reserve in die Jackentasche, Heini polierte die Linse der Videokamera, Waltraud schmierte Stullen. Shimon erschien und meldete, daß
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