Muss ich denn schon wieder verreisen?
der Bus abfahrbereit sei. Mit Rücksicht auf Frau Conrads, die sich zwar als ›wieder fit wie ein Turnschuh‹ bezeichnete, obwohl sie immer noch hinkte, sollten wir zur Anlegestelle gefahren werden.
In der Halle kurze Verzögerung. Menachem stand an der Rezeption und brüllte Hebräisches ins Telefon. Nach längerem Palaver knallte er ärgerlich den Hörer auf die Gabel. »Tut mir leid«, wandte er sich an Irene, »aber heute ist Sabbat und niemand zu erreichen. Ich versuche es am Abend noch mal.«
Unser Dampferchen, das uns gemächlich über den See tuckerte, war geschmückt wie bei einer Flottenparade. Rundherum bunte Wimpel, Lichterketten und am Heck ein Sortiment Flaggen aus aller Herren Länder. »Wie beim Betriebsausflug«, witzelte Uwe. »Gibt’s hier auch was Anständiges zu trinken?«
Gab es nicht. Ob aus Pietät oder nur aus Platzmangel, blieb dahingestellt. Immerhin war das weiße Boot bis zur letzten Planke besetzt und eine Bierbar nirgends installiert. Im Heck drängte sich ein Pulk Amerikaner zusammen, die Damen alle in sehr Farbenfrohes gehüllt und bunte Hüte auf den Köpfen, die Herren in Shorts und Turnschuhen. Daneben hatte sich, aufgereiht wie Pinguine auf der Eisscholle, ein Dutzend Nonnen niedergelassen. Der sie begleitende Geistliche stand mit dem Rücken zur Reling und las aus der Bibel vor. Es war eine italienische. Vorn am Bug wurde gebetet. Auf französisch. Es mußte sich wohl um eine ausschließlich weiblichen Mitgliedern vorbehaltene Pilgerreise handeln, denn wir begegneten dieser Gruppe noch mehrmals, und immer standen sie alle mit gefalteten Händen da. Ein paar Holländer waren auch an Bord. Sie hatten Badesachen dabei und sahen überhaupt nicht verklärt aus.
Vorübergehendes Chaos beim Ausbaggern, bis jeder seine Gruppe wiedergefunden hatte, sodann Abmarsch in verschiedene Richtungen. Wir haben in Tabgha angefangen, was soviel wie Siebenquell bedeutet und am Fuß des Berges der Seligpreisungen liegt. Die hatte ich zwar mal im Konfirmationsunterricht auswendig lernen müssen, doch viel hängengeblieben war davon nicht mehr. Elena konnte noch den ganzen Text und rezitierte ihn mit Inbrunst. Alberto knipste, Heini filmte, Irene guckte nach Blümchen.
Danach Besichtigung der Primatskapelle. Wir gingen als letzte hinein und waren als erste wieder draußen, legten uns ins Gras und sahen den tanzenden Schmetterlingen zu.
»Ob wir überhaupt mal Gelegenheit haben werden, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen?« Irene zupfte einen Grashalm ab und kaute darauf herum. »Nichts gegen biblische Stätten, einige interessieren mich ja auch, aber so als Herde von einem Stall in den nächsten getrieben zu werden, ist eigentlich nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Es muß doch eine Möglichkeit geben, sich mal abzuseilen und separat loszuziehen.«
»Spätestens in Jerusalem. Die Klagemauer finden wir auch allein.« – »Dein Wort in Allahs Ohr!«
»Jetzt liegst du falsch! Die Klagemauer ist ein jüdisches Heiligtum.«
Menachem scheuchte uns hoch. Die anderen seien schon auf dem Weg zur Brotvermehrungskirche.
»Müssen wir dahin?« Irene gähnte ausgiebig.
Doch, wir müßten, weil es dann auf der anderen Seite des Berges weitergehe nach Kapernaum.
Besagte Brotvermehrungskirche steht an einer völlig falschen Stelle. Nicht hier hat sich das Wunder ereignet, sondern am gegenüberliegenden Ufer des Sees, -zig Kilometer weit weg. Nur war es im 3. und 4. Jahrhundert für die damaligen Pilger zu gefährlich geworden, diese wohl sehr einsame Gegend zu bereisen, und so hatte der vorausschauende Kaiser Konstantin die ganze Sache kurzerhand auf die Westseite verlegt und dort die erste Kirche bauen lassen. Ein weiser Entschluß, wenn man bedenkt, wie viele Schekel seitdem in die Opferstöcke gefallen sind – früher für die Armen bestimmt, heute zur Instandhaltung der christlichen Prachtbauten. Der ersten Kirche sind nämlich noch viele gefolgt, weil die anderen immer wieder durch Erdbeben oder durch Gewalt vernichtet wurden. Die jetzige ist gerade elf Jahre alt und sieht noch richtig neu aus.
Den kleinen Schwindel mit dem falschen Ufer verschwieg Frau Marquardt; er hätte unsere drei ganz Frommen zu sehr getroffen. Elena entzündete die erste Kerze aus dem mitgebrachten Vorrat (»Man weiß ja vorher nicht, ob es überall welche zu kaufen gibt«), Gregor fotografierte den fantastischen Mosaikfußboden, die Yuppies erörterten mit Terjungs flüsternd den Wahrheitsgehalt der
Weitere Kostenlose Bücher