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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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verantwortlich machen für das, was damals geschehen ist. Sie beide zum Beispiel sind bei Kriegsende doch auch noch Kinder gewesen. Weshalb also sollte ich Sie hassen?«
    »Eine bemerkenswerte Einstellung«, gab ich zu, »aber so denken doch bestimmt nicht alle Ihre Landsleute?«
    »Nein, da gibt es immer noch Emotionen. Ich kenne einige, die es noch heute ablehnen, sich mit Deutschen an einen Tisch zu setzen. Aber das sind überwiegend ältere Menschen und vor allem solche, die das KZ überlebt haben. Bei ihnen sitzt das, was sie durchgemacht haben, zu tief. Die jungen Leute denken anders – zum Glück, denn wie sollten sie aufeinander zugehen können, wenn sie den Haß von Generation zu Generation weitertragen würden?«
    Dafür hassen sie jetzt die Palästinenser und verfahren mit ihnen so ähnlich, wie es seinerzeit die Nazis mit den Juden getan haben: Unterdrückung, Vertreibung, Ghettos, Lager. Aber das sagte ich natürlich nicht.
    Diesmal war ich sogar dankbar, als wir wieder zur Gruppe stießen. Das Gespräch war mir doch ziemlich an die Nieren gegangen.
    Die Besichtigung der kirchlichen Stätten war schon beendet, einschließlich des gläsernen Raumschiffes, das über dem vermutlichen Wohnhaus von Petrus errichtet worden ist.
    Müde und hungrig schlappten wir zur Anlegestelle, von wouns das Boot zurück zu den Fleischtöpfen – nein, nicht Ägyptens, sondern Israels bringen sollte. Zum allgemeinen Bedauern hatte bei uns keine Brotvermehrung stattgefunden, vielleicht deshalb nicht, weil niemand eins dabei hatte, und Imbißhallen, wie man sie hierzulande überall findet, wo sich Touristen sammeln, gibt es im Angesicht dieser heiligen Stätten nicht. Die Israelis sind eben pietätvoller als Deutsche. Wir stellen ja sogar direkt neben den Kölner Dom eine Frittenbude auf.
    »Es lächelt der See, er ladet zum Bade«, begann Waltraud, nachdem wir das Ufer erreicht hatten, doch bevor sie Schillers Zitatenfriedhof noch weiter strapazieren konnte, wurde sie von Robert unterbrochen: »Dann gehen Sie doch endlich rein! An einer anderen Stelle heißt es nämlich: Es rast der See und will sein Opfer haben.«
    Unterschwellig teilte ich Yuppies Hoffnung. Die ewig Sprüche herunterbetenden Schwestern gingen inzwischen allen auf den Geist, und noch vorhin, als beim Durchqueren einer kleinen Schlucht Anneliese mit viel Pathos »Durch diese hohle Gasse muß er kommen…« rezitiert hatte, hatte Jens wenig menschenfreundliche Drohungen ausgestoßen. »Irgendwann ersäufe ich sie! Alle beide!«
    Meinen Hinweis, den biblisch überfrachteten See Genezareth hielte ich aus Pietätsgründen für denkbar ungeeignet, ließ er nicht gelten. »Gerade deshalb! Da sucht sie doch keiner!«
    Im übrigen raste der See überhaupt nicht, er lag vielmehr spiegelglatt in der Sonne. Außer uns und ein paar Enten war nichts zu sehen, erst recht kein Boot, das doch schon seit zehn Minuten auf uns hätte warten sollen.
    »Ob wir’s einfach zu Fuß versuchen?« murmelte Gustl. »Es soll ja schon mal jemand geschafft haben.« Probehalber steckte er den Fuß ins Wasser, zog ihn aber gleich wieder raus. »Geht nicht, ist zu kalt.«
    »Sie wollen doch nicht etwa zurückschwimmen?« Zum Glück hatte Elena die despektierliche Äußerung nicht mitbekommen. »Wir werden bestimmt abgeholt. Der Herr wird uns nicht gerade hier im Stich lassen.«
    »Ob er auch für Motorboote zuständig ist, möchte ich doch bezweifeln«, erklärte Frau Marquardt rundheraus. »Darum werden wir uns wohl selbst kümmern müssen. Ich verstehe gar nicht, wo das Schiff bleibt. Wir hatten Punkt zwei Uhr vereinbart.«
    »Jetzt ist es zwanzig nach eins«, bemerkte Menachem lakonisch.
    Einstimmiger Entsetzensschrei, dem vereinzelte Ausbrüche niederer Instinkte folgten. »Ich bin doch schon jetzt am Verhungern!«
    »Hat noch jemand was zu trinken?«
    »Meine letzte Zigarette habe ich vor einer Stunde geraucht, in Kürze beginnen erste Entzugserscheinungen.«
    »Ich hab’ eine Blase am Fuß.«
    Solidarität erwachte. Claudia bekam die letzten vier zerkrümelten Kekse aus Ännchens Notration, Betti tränkte Harald mit lauwarmem Mineralwasser ohne Kohlensäure, und Gregor lebte sichtbar auf, nachdem ihm gleich drei Zigaretten angeboten wurden. Er nahm sie alle.
    Nur Verena jammerte lauter als zuvor. Annelieses operativer Eingriff mit am Feuerzeug desinfizierter Sicherheitsnadel war wohl nicht sehr erfolgreich gewesen. »Vorher hat’s bloß weh getan, jetzt brennt es ganz

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