Muss ich denn schon wieder verreisen?
hatte, setzte Frau Marquardt wohl voraus, daß alle Anwesenden über die damalige Tragödie im Bilde waren. Waren sie aber nicht. Zumindest Ännchen hatte noch nie etwas davon gehört und forderte Einzelheiten.
»Das überlasse ich Menachem.« Er bekam das Mikrofon in die Hand gedrückt und schilderte sehr eindrucksvoll den Untergang der Juden, die sich im 1. Jahrhundert gegen die römischen Besatzer erhoben hatten. Der Aufstand war blutig niedergeschlagen worden, doch ein kleines Häuflein Entschlossener hatte sich auf die Masada zurückgezogen, der letzten Bastion, die ihnen noch geblieben war.
Ursprünglich hatte Herodes diese Festung für sich bauen lassen – vermeintlich uneinnehmbar auf dem 440 m hohen Berg. Um etwaigen Belagerungen standhalten zu können, ließ er Zisternen anlegen und Vorratskammern einrichten, so daß sich die späteren Flüchtlinge in ihrem Exil sicher fühlen konnten. Von oben beherrschten sie die Ebene, und an dem steil abfallenden Felsen kam sowieso keiner hinauf.
Das hatte auch Flavius Silva einsehen müssen, Befehlshaber der 10. römischen Legion und mit dem Auftrag anmarschiert, Masada um jeden Preis zu zerstören. Vier Jahre lang haben die Belagerer und ihre jüdischen Sklaven gebraucht, um die berühmte Rampe zu bauen. Hatten die Zeloten anfangs noch versucht, die Arbeiter durch Steinwürfe und siedendes Öl zu behindern, so konnten sie doch bald den Zeitpunkt ihrer endgültigen Niederlage absehen und entschieden sich für den Freitod. Die letzte Rede von El ’Azar, dem Führer der Zeloten, ist sogar überliefert. »… Laßt uns sterben, ohne von unseren Feinden versklavt worden zu sein, und diese Welt als freie Menschen zusammen mit unseren Frauen und Kindern verlassen.«
Als die Römer schließlich die Festung stürmten, fanden sie neunhundertachtzig Tote und ein paar überlebende Frauen, die sich vor dem Massenselbstmord versteckt hatten.
Soweit die Historie. Die Gegenwart besteht aus einer Touristen-Attraktion, die natürlich auf unserem Programm nicht fehlte. Deshalb sollten wir auch oben auf der Masada zugucken, wie die Sonne über dem Toten Meer aufgeht -ein unvergeßlicher Anblick, der uns für das frühe Aufstehen hinreichend entschädigen würde.
Was mich anbelangt, so gibt es kaum etwas, das mir ein Aus-dem-Bett-geworfen-Werden mitten in der Nacht schmackhaftmachen könnte, allenfalls ein Flugzeug mit Kurs Äquator. Auf keinen Fall jedoch eine Bergbesteigung, noch dazu im Dunkeln. »Da brauchen wir ja Taschenlampen.«
Die seien überflüssig, entgegnete Menachem, wenn wir mit dem Aufstieg begännen, dämmere es bereits.
»Isses da oben nicht saumäßig kalt?« forschte ich weiter. Eine Sonne, die erst aufgehen muß, kann logischerweise noch nicht wärmen, und ebenso logisch ist es auf Berggipfeln immer windig. Unten bewegt sich kein Blatt, oben pfeift der Wind. Dazu ein leerer Magen, gar nicht zu reden vom Nichtausgeschlafensein – und das alles nur, um über Trümmer zu stolpern und die Sonne aufgehen zu sehen? Nein, danke! »Muß ich da unbedingt mit?«
Durchaus nicht, meinte Frau Marquardt, sie sähe nur gewisse Schwierigkeiten, wieder zur Gruppe zu stoßen. Einen Linienverkehr zur Masada gebe es nicht, und zu Fuß sei es wohl doch ein bißchen zu weit, immer quer durch die Wüste.
Das klang gar nicht gut.
»Wenn Sie sich den Aufstieg ersparen wollen, können Sie natürlich im Bus warten. Wir kommen ja wieder runter.«
Das klang schon besser. Die Rückbank bot einen ganz passablen Ersatz für ein Bett.
»Mach nicht so ’n Hermann! Natürlich kommst du mit, und wenn ich dich eigenhändig den Berg raufschieben muß!« entschied Irene.
Bei diesem diktatorischen Ton ist jeder Widerstand zwecklos, das weiß ich aus Erfahrung. Sie kann nämlich verflixt hartnäckig sein. Zum Beispiel bei der Frage, ob wir selber kochen oder lieber essen gehen sollen. Da steht sie dann vor dem geöffneten Kühlschrank, findet eine Pappschachtel mit elf frischen Champignons, zieht ein paar Scheiben Schinken heraus, ein Rest Käse ist auch noch da, Sahne sowieso – also genug, um mit der Packung Wildreis und ein bißchen Fantasie etwas zusammenzubrutzeln. Sie beschließt jedoch, auf Pilze keinen Appetit zu haben, Reis gab’s erst vorgestern, und überhaupt wird das alles viel zu kalorienreich. »Wir gehen essen! Zum Chinesen!«
Die Hongkong-Ente hat natürlich kaum Kalorien, die mit Honig überbackene Banane zum Dessert noch weniger, und die Rechnung will ich lieber gar
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