Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Olympiasiegerin fröhlich und nimmt noch ein Löffelchen Crème brûlée . Wer meint, er müsse sich im Training kaputtmachen, dürfe das gerne tun. Sie nicht. »Es ist auch wichtig, Pausen zu machen und sich Ruhe zu gönnen. Man muss auf seinen Körper hören«, sagt die durchtrainierte Blondine, die gerade ihren Nachtisch genießt.
Pausen machen? Sich Ruhe gönnen? Solche Vokabeln fallen selten im Hochleistungssport. In der Regel geht es dort eher zu wie beim Militär: harte Disziplin, gnadenloser (Trainings-)Drill und bloß keine Schwäche zeigen. Doch Britta Steffen ist in vielerlei Hinsicht die Ausnahme von der Regel. Sie nimmt sich das Recht, vor großen Wettkämpfen auch mal weniger (statt mehr) zu trainieren, geht zur Atemtherapie, schwört auf ihren Mittagsschlaf, lässt sich von einer Psychologin beraten (was ihr den Beinamen »das Sensibelchen« eingetragen hat) – und ist die erfolgreichste deutsche Schwimmerin des vergangenen Jahrzehnts.
Acht deutsche, einen Europa- und zwei Weltrekorde hält sie derzeit (Stand September 2010), bei den Olympischen Spielen in Peking war sie mit ihrem Doppelsieg über 50 und 100 Meter Freistil eine der herausragenden Athletinnen. Und doch hat sie gelernt, sich nicht nur über Leistung zu definieren. »Das ist das Dilemma vieler Spitzensportler: Sie meinen, ihr Wert als Mensch hänge von ihrem Erfolg ab«, weiß Steffen. Anerkennung gehe ihnen über alles, und so schwämmen manche für die Eltern, den Trainer oder ganz Deutschland. »Ich sage mir: Britta, du machst das nur für dich.«
Selbstbewusst verweigert sich die 27-Jährige nicht nur rigiden Trainingsplänen, sondern auch dem Anspruch, ständig erreich- und verfügbar zu sein. Ihr Handy hat sie nur selten dabei, E-Mails liest sie meist erst nach Tagen (»und stelle dann fest: Viele haben sich von selbst erledigt«), und im Internet ist sie nur sporadisch unterwegs. Und wenn ihr Freund Paul Biedermann sie mit ihrer digitalen Abstinenz aufziehen will, antwortet sie manchmal nur: »Ich habe Besseres zu tun – schlafen zum Beispiel.«
Den Mut zur Muße musste sich Britta Steffen mühsam erarbeiten. Früher fühlte sie sich ständig unter Druck und dachte wie viele Spitzensportler: »Die Konkurrenz schläft nicht, nur Schwächlinge machen Pause, Müßiggang ist aller Laster Anfang.« Fast wäre sie unter diesem Druck zerbrochen. Bei Olympia 2004 in Athen waren ihre Leistungen so enttäuschend, dass Steffen frustriert das Schwimmen aufgab und ein Studium begann. Heute sagt sie: »Das Aufhören war absolut hilfreich, es war der Schlüssel zu allem.«
Dank der Psychologin Friederike Janofske lernt sie, mit ihren Versagensängsten umzugehen. Außerdem entdeckte sie mit Janofske, die über Chronobiologie promoviert hat, den Wert des Mittagsschlafs. Seither gönnt sich die Schwimmerin täglich eine Siesta und lässt sich die Zeit dafür bei manchen Terminen sogar vertraglich zusichern. Vor großen Wettkämpfen hat sie es sich zudem zum Ritual gemacht, eine Kirche oder einen Tempel zu besuchen, »um Ruhe und Kraft zu tanken«.
Natürlich müsse sie sich auch manchmal quälen. Jeden Tag um fünf vor sechs aufstehen, morgens drei Stunden Training, danach Studium, nachmittags noch mal zwei Stunden Training – nur Sonntags hat sie frei. Aber immer, wenn sie eine längere Pause hat, im Urlaub oder gezwungenermaßen wegen Krankheit (wie im Frühjahr 2010), spürt sie wieder die Lust, zu schwimmen und ihre Grenzen auszutesten. Und, befreit vom Druck, es irgendjemandem »beweisen« zu müssen, kann sie den Sport heute richtiggehend genießen: »Ich trainiere Körper und Geist, welches Leben könnte schöner sein?
So ist die größte Leistung der Britta Steffen vielleicht gar nicht die Tatsache, im entscheidenden Moment ein paar hundertstel Sekunden schneller zu sein als die Konkurrenz, sondern eher die Kunst, mit sich und dem eigenen Leben ins Reine gekommen so sein – und es sich auch zuzugestehen, einmal versagen zu dürfen.
Ein Journalist schrieb kürzlich über sie: »Wer so offen über seine Schwächen spricht, kann nur stark sein.« Dieser Satz, so hat man den Eindruck, gefällt ihr fast so gut wie ihre Goldmedaillen.
DER FAULE EXZENTRIKER – JOHN LENNON
Jeder denkt, ich bin faul / ist mir egal, ich denke, sie sind verrückt. Laufen mit Volldampf kreuz und quer / bis sie bemerken, dass es keinen Grund gibt. l
Bild 5
Diese Liedzeile aus dem John-Lennon-Song I’m only sleeping könnte der Refrain aller
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