Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Versuchspersonen wochenlang das Leben in vollständiger Isolation.
Dass die Ergebnisse dieser Experimente später von der holländischen Unterhaltungsfirma Endemol aufgegriffen wurden, der Erfinderin der Big-Brother -Serie, konnte Pöppel damals nicht ahnen. Ihm ging es vielmehr um die Erforschung der inneren Uhr. Ohne äußere Taktgeber folgt diese – wie sich im Bunker zeigte – eher einem Fünfundzwanzig- als einem Vierundzwanzig-Stunden-Tag. Außerdem wollte Pöppel wissen, wie sich die Psyche seiner Probanden verändern würde. Empfanden sie die völlige Abgeschiedenheit von anderen Menschen wirklich als so schrecklich, wie damals viele Forscher glaubten?
Bei Durchsicht der Versuchsprotokolle stellte er bald fest, dass kaum einer der Eingeschlossenen über quälende Gefühle berichtete. Im Gegenteil, den meisten war es offenbar ziemlich gut gegangen. Um herauszufinden, wie es sich anfühlt, ohne die vertrauten Geräusche und Gesichter des Alltags zu leben, stieg Pöppel schließlich selbst in den Bunker. »Die ersten ein, zwei Tage waren hart«, erinnert sich der heute 70-jährige Hirnforscher. »Es herrschte eine Art inneres Chaos, ich hatte mit Unruhe und Gedankenflucht zu kämpfen und musste mich sozusagen erst einmal an mich selbst anpassen.« Doch nach dieser Übergangsphase begann Pöppel, sich zusehends wohler zu fühlen. »Ich stellte fest, dass ich hochkonzentriert arbeiten konnte, viel weniger abgelenkt als sonst und in gewisser Weise mir selbst genug war.«
Als »interessantesten Moment« hat der Neuropsychologe das Ende des Experiments in Erinnerung, als er nach zwei Wochen wieder ins Freie trat. »Ich fühlte mich auf eine Art geläutert, die fast schon eine religiöse Komponente hatte. Es war wie eine innere Reinigung, ich hatte sozusagen Kontakt mit mir selbst aufgenommen und erlebt, dass ich von all dem Trubel um mich herum auch unabhängig sein konnte.«
Natürlich will Pöppel dies nicht als Plädoyer für den Segen einer Isolationshaft verstanden wissen. »Auf die Balance kommt es an. Als Menschen brauchen wir immer beides: Wir brauchen den Austausch mit anderen Menschen, wir brauchen aber auch den Bezug zu uns selbst, die innere Autonomie.« Und gerade an dieser Gelegenheit, sich selbst zu begegnen, fehle es heute vielen Menschen. »Stille ist essenziell, um sich konzentrieren zu können. Sie nimmt den Druck von uns, der durch den Lärm von außen entsteht.« Der Kommunikationsterror, dem wir permanent ausgesetzt seien, sei dafür geradezu Gift. Pöppel sagt deshalb auch gerne: »Wenn ganz Deutschland jeden Tag für eine Stunde nicht kommunizieren würde, dann hätten wir hier den größten Innovations- und Kreativitätsschub, den man sich vorstellen kann.«
Er selbst hat jedenfalls seine damaligen Erfahrungen im Andechser Isolationsbunker nicht vergessen. »Ich habe daraus gelernt, dass ich es einmal im Jahr brauche, mich von der Welt zurückzuziehen.« Dann reist er einige Wochen in den Schwarzwald und geht dort täglich drei bis vier Stunden spazieren. »Muße hat für mich viel mit Gehen zu tun«, sagt Pöppel, »der Physiker Hermann von Helmholtz sagte einmal, er könne überhaupt nur im Gehen denken. Mir geht es ähnlich: Im Gehen kommen mir oft die besten Ideen.«
Von speziellen Meditationsmethoden hält er dagegen wenig. »Letztlich geht es ja nur darum, sich ganz auf eine Sache einzulassen und sich zu konzentrieren.« Wer sich so vom Drang freimache, ständig etwas leisten oder erledigen zu müssen, wer von der Außen- auf die Innensteuerung umschalte, der könne eine ganz besondere Art von Befreiung erleben: »Wir erfahren, wie es ist, der Zeitfalle zu entkommen.«
DIE GEGENWÄRTIGE FILMEMACHERIN – DORIS DÖRRIE
Bild 7
Die Methode, die Doris Dörrie zur Stressreduktion praktiziert, ist ziemlich ungewöhnlich. »Ich stelle mir den Tod vor, sehe mich als Skelett an seiner Seite und frage mich dann selbst als Tote, was ich von dem halte, was ich gerade im Leben mache.« Meist führe diese Art von Gespräch dazu, dass sich Tod und Skelett gemeinsam totlachen würden, erklärt die Künstlerin heiter. Denn in Anbetracht unserer kurzen Zeit auf Erden sei »das meiste, was wir tun, ziemlich lächerlich«.
Das Stelldichein mit dem Tod ist nur einer der vielen Tricks, mit denen Dörrie ihr seelisches Gleichgewicht wahrt. Die Regisseurin und Autorin ist eine jener Vielbeschäftigten, die normalerweise nie zur Ruhe kommen. Sie dreht Spiel- und Dokumentarfilme, schreibt
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