Muster - Steffen-Buch
ich von allen geächtet. Kein anderes Kind wollte etwas mit mir zu tun haben. In den Pausen schlang ich meine Brote hinunter, während meine früheren Freunde Lieder über mich sangen. »David, der Essensdieb« und »Pelzer-Smellzer«1 waren zwei ihrer Lieblingslieder. Ich hatte niemanden zum Reden oder Spielen. Ich fühlte mich sehr einsam.
Zu Hause verbrachte ich die vielen Stunden, die ich in der Garage stehen musste, damit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich an Essen herankommen konnte. Vater versuchte gelegentlich, mir etwas zu essen zuzustecken, aber ohne großen Erfolg. Ich gelangte zu der Überzeugung, dass ich mich auf mich selbst verlassen musste, wenn ich überleben wollte. In der Schule hatte ich alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Inzwischen versteckten alle Schüler ihre Lunchboxen oder schlossen sie in ihren Schränken im Klassenzimmer ein. Ich war bei den Lehrern und dem Direktor bekannt wie ein bunter Hund und alle hatten ein wachsames Auge auf mich. Meine Chancen, in der Schule etwas Essbares zu ergattern, waren praktisch gleich null.
Schließlich entwarf ich einen realisierbaren Plan. Die Schüler durften den Schulhof in der Pause nicht verlassen, also erwartete niemand, 1 Smell = Geruch, Gestank (Anm. der Übersetzerin) 36
dass ich mich verdrückte. Ich hatte die Idee, mich vom Schulhof zu schleichen und zum Lebensmittelladen um die Ecke zu rennen, um Kekse, Brot, Chips oder was immer ich in die Finger kriegen konnte, zu stehlen. Im Geiste plante ich jedes Detail. Als ich am nächsten Morgen zur Schule rannte, zählte ich jeden Schritt, um zu ermitteln, wie viel Zeit ich für meinen Ausflug zum Laden brauchen würde. Nach ein paar Wochen hatte ich alle nötigen Informationen gesammelt. Das Einzige, was mir jetzt noch fehlte, war der Mut, den Plan auszuführen. Ich wusste, dass ich für den Hinweg länger brauchen würde, weil der Laden auf einem Hügel lag. Also setzte ich dafür fünfzehn Minuten an. Den Rück-weg den Hügel hinunter würde ich schneller zurücklegen können, so dass ich zehn Minuten dafür veranschlagte. Das bedeutete, dass ich im Laden nur zehn Minuten Zeit haben würde.
Jeden Tag versuchte ich, auf dem Schulweg schneller zu rennen. Ich legte meine volle Kraft in jeden Schritt, so als wäre ich ein Marathon-läufer. Als die Tage vergingen und mein Plan Gestalt annahm, wurde mein Verlangen nach Nahrung von Tagträumen in den Hintergrund gedrängt. Wann immer ich meine Pflichten im Haushalt erledigte, hing ich Phantasievorstellungen nach. Während ich auf Händen und Knien den Badezimmerboden schrubbte, stellte ich mir vor, ich sei der Prinz in der Geschichte Der Prinz und der Bettelknabe. Denn dieser Prinz kann das lustige Spiel, in dem er vorgibt, arm zu sein, jederzeit been-den. Und während ich in der Garage mit geschlossenen Augen regungslos an der Wand stand, träumte ich, ich sei ein Held aus einem meiner Comichefte. Doch ich wurde immer wieder durch Hungerattacken aus meinen Tagträumen gerissen und kehrte in Gedanken bald wieder zu meinem Vorhaben, Essen zu stehlen, zurück.
Selbst als ich das sichere Gefühl hatte, dass mein Plan hieb- und stichfest war, hatte ich zu viel Angst davor, ihn in die Tat umzusetzen.
In der Pause stromerte ich auf dem Schulhof herum und legte mir immer neue Entschuldigungen dafür zurecht, dass mir der Mut fehlte, zum Laden zu rennen. Ich sagte mir, dass man mich schnappen würde oder dass meine Berechnungen nicht genau genug waren. Während ich mit mir rang, knurrte die ganze Zeit mein Magen und nannte mich »Angst-hase«. Nach mehreren Tagen ohne Abendessen und nur kleinen Resten zum Frühstück beschloss ich schließlich, es zu wagen. Ein paar Augenblicke nachdem die Pausenklingel ertönt war, sauste ich vom Schulhof und die Straße hinauf. Mein Herz klopfte und mir pfiff die Lunge. Ich 37
brauchte für den Weg zum Laden nur halb so lange, wie eingeplant.
Während ich im Laden durch die Gänge schlich, hatte ich das Gefühl, dass alle mich anstarrten und sich über das stinkende, abgerissene Kind das Maul zerrissen. Da erkannte ich, dass mein Plan zum Scheitern verurteilt war, weil ich nicht daran gedacht hatte, wie ich auf andere Leute wirkte. Je mehr ich mir über meine Erscheinung Sorgen machte, desto mehr krampfte sich mein Magen zusammen. Ich blieb mitten im Gang stehen und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich zählte langsam die Sekunden. Ich dachte an all die Zeiten, in denen ich gehungert hatte.
Plötzlich
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