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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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geplagten Seelen.«
    »Ich glaube, sie werden uns hassen«, sagt Helena. Nur ihre
    Wahnsinnsaugen schauen jetzt noch aus ihren Albträumen von
    BSE und einer spongiformen Zukunft hervor. In diesem Moment sieht sie aus, als steckte sie immer noch in der Rolle der innerlich gequälten Deprogrammiererin ins All entführter Erdenmenschen, die sie in jener einen kurzen Staffel von Ark/Hive 7 gespielt hat. Cayce hat einmal eine Folge davon gesehen, weil der Freund einer Freundin eine Statistenrolle als Angestellter im Leichenschauhaus hatte.
    »Seelen«, wiederholt Bigend, als hätte er Helena gar nicht
    gehört. Seine blauen Augen weiten sich eigens für Cayce. Er
    spricht so akzentfrei, wie sie noch nie jemanden englisch hat reden hören. Das macht einen nervös. Es klingt irgendwie ungerichtet, wie ein Lautsprecher in einer Flughafen-Lounge, obwohl es mit der Lautstärke nichts zu tun hat. »Seelen?«
    Cayce guckt ihn an und kaut bedächtig einen Mundvoll gefüllter Aubergine.
    »Natürlich«, sagt er, »haben wir keine Ahnung, wer oder was
    die Zukunft bevölkern wird. So gesehen haben wir keine Zukunft. Nicht in dem Sinn, wie unsere Großeltern eine hatten oder jedenfalls zu haben glaubten. Eine vorstellbare Zukunft der eigenen Kultur war ein Luxus vergangener Zeiten, als das ›Jetzt‹
    noch stabiler und dauerhafter war. Für uns hingegen kann sich alles so jäh und so grundstürzend ändern, daß eine Zukunft wie die unserer Großeltern nicht mehr möglich ist, weil sie nicht genügend ›Jetzt‹ als Grundlage hat. Wir haben keine Zukunft, weil unsere Gegenwart so flüchtig ist.« Er lächelt wie Tom Cruise mit zu vielen Zähnen. Seine Zähne sind auch länger, aber immer noch sehr weiß. »Wir haben nur das Risikomana—gement. Den Spin des momentanen Szenarios. Mustererkennung.«
    Cayce zuckt zusammen.
    »Aber haben wir dann eine Vergangenheit?« fragt Stonestreet.
    »Geschichte ist eine auf Mutmaßungen beruhende Erzählung
    dessen, was wann geschah«, sagt Bigend, und seine Augen
    verengen sich. »Wer was mit wem gemacht hat. Mit welchen
    Mitteln. Wer gewonnen und wer verloren hat. Wer mutiert ist.
    Wer ausgestorben ist.«
    »Die Zukunft existiert«, hört Cayce sich sagen, »und blickt
    auf uns zurück. Versucht, Sinn in das Stück Fiktion zu bringen, das wir dann sind. Und von dort aus gesehen, hat das, was hinter uns liegt, keinerlei Ähnlichkeit mit dem, wovon wir glauben, daß es hinter uns liegt.«
    »Das klingt ja sehr orakelhaft.« Weiße Zähne.
    »Ich weiß nur, daß das einzige Konstante in der Geschichte
    die Veränderung ist: die Vergangenheit verändert sich. Unsere Version der Vergangenheit wird die Zukunft ungefähr in dem Maß interessieren, wie es uns interessiert, an welche Vergangenheit die Viktorianer glaubten. Sie wird den Leuten einfach ziemlich irrelevant erscheinen.« Sie referiert Parkaboy, einen Thread mit Filmy und Maurice, in dem es darum ging, ob die Clips eine bestimmte zeitliche Atmosphäre vermitteln sollen, oder ob nicht vielmehr die kunstvolle Vermeidung aller zeitlichen Marker auf ein bestimmtes Verhältnis des Machers zu Zeit und Geschichte hindeutet und wenn ja, auf welches.
    Jetzt ist es an Bigend, stumm vor sich hinzukauen, wobei er
    sie ernst ansieht. »Wir haben vielleicht keine Gegenwart im
    Sinne einer gemeinsamen Vision«, sagt er schließlich, »aber
    dafür sind wir wieder in die Realität zurückversetzt worden.«
    »Frieden«, sagt Helena mit sanfter, theatralisch—
    wehmutsvoller Stimme, »ist die einzig erstrebenswerte Realität.«
    »Woher wir kommen«, fährt Bigend fort, »ist, wie Sie sagen,
    Fiktion, der Veränderung unterworfen. Wohin wir gehen,
    wissen wir nicht. Obwohl wir immerhin wissen, daß wir es
    nicht wissen, was auch schon etwas ist.« Er schenkt Cayce ein zähnestarrendes Grinsen. »Aber der Moment, unser kostbares kleines Jetzt – das ist uns wiedergegeben worden, als die Türme einstürzten. Als sie zusammenbrachen, haben wir geblinzelt und gezittert und sind in den Augenblick zurückversetzt worden. Seitdem ist tatsächlich nichts mehr, wie es war.«
     
    Er fährt einen rostbraunen Hummer mit belgischem Kennzeichen, linksgesteuert. Nicht dieses gigantische Überfahrzeug, das wie ein drüsengestörter Jeep aussieht, sondern eine neuere, kleinere Version, die es dennoch schafft, kein bißchen netter und freundlicher zu wirken. Das Ding ist fast so unbequem wie sein großer Bruder, obwohl die Sitze mit einer Art Handschuh-leder bezogen

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