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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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und sich sogar schon gefragt, ob sie wohl zu denen gehören wird, die durch—kommen, wohin auch immer. Sie möchte wissen, wie Bigend die Zukunft sieht.
    »Wieso eng? Die Märkte scheinen sich doch erholt zu haben.«
    »Historisch gesehen, erholen sich die Märkte, ja. Aber dann verlagern sie sich. Seitwärts. Ereignisse einer gewissen Größen-ordnung ändern manches. Das letzte Beispiel vor diesem jetzt war der Kennedy-Mord, der hat vieles verändert. Alles, im Grund. Auf eine Art, die niemand vorhergesehen hatte.«
    Cayce spürt, wie sich ihre Augen weiten, ein unbewußtes Fragesignal, viel zu passiv, kindlich. Sie schüttelt den Kopf, wie um einen Bann abzuschütteln. Sie hat sich viel weiter auf sein Terrain gewagt, als sie vorgehabt hatte, sie hat sich von der Vorstellung verleiten lassen, Bigend wüßte wirklich, was kommt. »Ihre berühmte ›Singularität‹?« Dieses Wort ist ihr aus einem Interview hängengeblieben.
    »Sie sind doch intelligent genug«, sagt er. »Sie können es doch nicht ernsthaft bezweifeln.«
    Okay, sie wird sich ein Beispiel an ihm nehmen. Zeit für eine Ladung Krähenfüße. »Und warum dieses Re-Branding für den zweitgrößten Sportschuhhersteller der Welt? War das deren Idee oder Ihre?«
    »So arbeite ich nicht. Der Kunde und ich treten in einen Dialog. Dabei zeichnet sich dann ein Weg ab. Es geht nicht darum, jemandem den eigenen kreativen Willen aufzuzwingen.« Er sieht sie jetzt ganz ernst an, und sie fühlt peinlicherweise, wie ihr ein kalter Schauer den Rücken runterläuft. Sie hofft, daß er es nicht merkt. Wenn Bigend sich einzureden vermag, daß er niemandem seinen Willen aufzwingen will, dann kann er sich wohl alles einreden. »Es geht um Kontingenz. Ich helfe dem Kunden, die Richtung einzuschlagen, in die sich die Dinge ohnehin entwickeln. Möchten Sie wissen, was das interessanteste an Dorotea ist?«
    »Was?«
    »Sie hat mal für eine sehr spezielle Unternehmensberatungs—firma gearbeitet, in Paris. Der Gründer war ein französischer Ex-Geheimdienstler, der für seine Regierung lange auf diesem Gebiet tätig war, in Deutschland und in den USA.«
    »Sie ist … eine Spionin?«
    »›Industriespionage‹, obwohl das heutzutage ziemlich alter—tümlich klingt, finden Sie nicht? Ich vermute mal, sie weiß immer noch, wen man anrufen kann, um bestimmte Dinge in Auftrag zu geben, aber als Spionin würde ich sie nicht bezeichnen. Was ich daran interessant finde, ist, daß dieses Metier in gewisser Weise genau das Gegenteil von unserem zu sein scheint.«
    »Das Gegenteil von Werbung?«
    »Ja. Ich will den Leuten etwas zu Bewußtsein bringen, wovon sie noch nicht recht wissen, daß sie’s wissen – oder ihnen jedenfalls dieses Gefühl geben. Denn darauf springen sie an, verstehen Sie. Sie denken, daß sie von selbst drauf gekommen sind. Es geht um den Transfer von Information, aber gleichzeitig um etwas eher Unspezifisches.«
    Cayce versucht, das mit dem überein zu bringen, was sie an Blue-Ant-Kampagnen gesehen hat. Es ergibt einen gewissen Sinn.
    »Ich hatte die Vorstellung«, fährt er fort, »daß es in dem Business, in dem Dorotea tätig war, um sehr spezifische Informationen gehen müßte.«
    »Und war es so?«
    »Manchmal schon, ja. Aber oft ging es auch einfach nur um negative PR. Darum, die Konkurrenz in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. So interessant war das gar nicht.«
    »Aber Sie haben erwogen, ihr einen Job zu geben?«
    »Ja, wenn auch nicht den, den sie sich ausgesucht hätte. Aber inzwischen haben wir klargestellt, daß wir nicht an ihr interessiert sind. Falls sie glaubt, Sie würden den Posten kriegen, den sie selber haben wollte, könnte sie sehr böse werden.«
    Was will er ihr sagen? Soll sie ihm von der Jacke erzählen?
    Von den verdorbenen Asiengirls? Nein. Sie traut ihm nicht, kein bißchen.
    Dorotea eine IndustrieSpionin? Bigend jemand, der an einer solchen Person interessiert ist? Oder interessiert war? Und es angeblich nicht mehr ist? Gut möglich, daß das alles gar nicht stimmt.
    »Also«, sagt Bigend und beugt sich ein wenig vor. »Lassen Sie mal hören.«
    »Was?«
    »Der Kuß. Was halten Sie davon?«
    Cayce weiß sofort, welchen Kuß er meint, aber sich Bigend als Cliphead vorzustellen, ist so ein bizarrer Sprung, daß sie nichts weiter tun kann, als dasitzen und spüren, wie ihr Zwerchfell leise auf die tiefen Frequenzen der Musik reagiert, die sie bis eben gar nicht mehr bewußt wahrgenommen hat.
    Jemand, eine Frau, lacht hell

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