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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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probeweise die Wahlwiederholungstaste und hat wieder
    den Mann von Judge Advocate dran. »Entschuldigung«, sagte
    sie, »bin aus Versehen auf die Wiederholungstaste gekommen.«
    »Vierzehn Minuten«, sagt er, jetzt defensiv, und tatsächlich ist der Lieferwagen bereits nach zwölf Minuten da.
    Eine Stunde später hat Damiens Tür zwei nagelneue, sehr
    teure Schlösser, Made in Germany, mit Schlüsseln, die wie
    etwas aussehen, das man fände, wenn man eine topmoderne
    automatische Pistole auseinandernehmen würde. Der Cube
    steht wieder an seinem gewohnten Platz auf dem Tisch. Das
    Haustürschloß hat sie nicht auswechseln lassen, weil sie Damiens Mieter nicht kennt und noch nicht mal weiß, wie viele es sind.
    Essen mit Bigend. Stöhnend geht sie sich umziehen.
     
    Der Wagen von Blue Ant wartet schon, als sie aus der Haustür tritt, die beiden neuen Schlüssel an einem schwarzen Schnür-senkel um den Hals. Die Zweitschlüssel hat sie hinter einem der Mischpulte im oberen Zimmer versteckt.
    Abend jetzt. Gerade setzt ein leichter Regen ein.
    Sie überlegt, daß das den Kinderkreuzzug noch weiter ausdünnen wird, dort unter den Riesen-Fimo-Stiefeln und -
    Flugzeugen und den Straßenlaternen, an denen Überwachungs—
    kameras montiert sind.
    Als sie im Fond sitzt, fragt sie den Fahrer, einen schlanken, makellos gekleideten Afrikaner, welche U-Bahn-Station ihrem Fahrtziel am nächsten liegt.
    »Bow Road«, sagt er, aber die kennt sie nicht.
    Sie betrachtet seinen minuziös geschorenen Hinterkopf, den
    Niob-Stecker im oberen Rand seines rechten Ohrs, dann die
    vorbeiziehenden Ladenfronten und Restaurants.
    Stonestreets »informell« heißt nach ihren Maßstäben mit Sicherheit ziemlich formell, deshalb hat sie sich für die CPU
    entschieden, die Damien das Rock-Ding nennt, einen langen,
    schmalen No-Name-Schlauch aus schwarzem Jersey mit einem
    minimalen Saum an jedem Ende. Eng, aber bequem, sitzt gut
    um die Hüften und ist in der Länge beliebig variierbar. Drunter eine schwarze Strumpfhose, drüber eine schwarze DKNY-Jacke, mit einer Nagelschere ent-Donna-isiert. Neu-alte Pumps aus einem Retro-Shop in Paris.
    Und plötzlich denkt sie wehmütig an die ratternde Metro
    und an die unnachahmliche Art der Pariserinnen, Tücher zu
    tragen. Sie befindet, daß dieses Träumen von woanders entweder ebenfalls ein Zeichen des sich wieder normalisierenden Serotoninspiegels ist oder aber eine Nur-weg-hier-Reaktion auf die verdorbenen Asiengirls im Browser.
    Dieses massive, völlig undurchschaubare Problem, das sie
    jetzt plötzlich mit Dorotea hat, einer Person, von der sie bisher kaum wußte, daß es sie gab. Sie hat ihr Gedächtnis durch-forscht, ob sie jemals irgend etwas getan hat, womit sie die Feindschaft dieser Frau hätte auf sich ziehen können, hat aber nichts gefunden.
    Es ist eigentlich nicht ihre Art, sich Feinde zu machen, obwohl der stillere Teil ihrer Tätigkeit, die Sorte Ja-Nein—Gutachten, für die Blue Ant sie momentan bezahlt, schon
    problematisch sein kann. Ein Nein kann eine Firma den Auftrag oder einen Beschäftigten die Stelle kosten. (Einmal war es sogar eine ganze Abteilung.) Der Rest ihres Jobs, das eigentliche Aufspüren von Street-Fashion-Trends, die gelegentlichen Vorträge vor eifrigen Managerabordnungen, ruft bemerkenswert wenig Ressentiments hervor.
    Anfangs konnte sie die Vorträge gar nicht leiden, aber inzwischen machen sie ihr regelrecht Spaß. Je unbeleckter die Firma, desto besser. Sie genießt es, plötzlich Funken des Verstehens in den Augen der Leute zu sehen, wenn sie ihnen Dias von Hiphoppern in gürtellosen Baggy-Pants gezeigt, die Warum—Frage gestellt, ein paar lahme Antworten beiseite gewischt und dann erklärt hat, daß im Gefängnis Gürtel verboten sind und daß diejenigen Gefangenen, die in der Haft besonders viel für ihre Fitness getan haben, gern mit ihrer viel zu weit gewordenen Gefängniskluft protzen. Alles, so hat sie ihnen erklärt, kommt irgendwoher, und die Looks, die sich wie ein Lauffeuer verbreiten und oft auch am längsten halten, kommen nur selten vom Skizzenblock oder Computerbildschirm eines Designers.
    Ein roter Doppeldeckerbus, der sich an ihnen vorbeimühlt,
    erscheint ihr nicht wie ein Stück Spiegelwelt, sondern eher wie Staffage für ein Disney-Londonland.
    An einer Mauer erspäht sie frisch aufgehängte Ausdrucke
    eines Stills aus dem neuen Clip. Der Kuß. Schon.
    Als sie einmal während der Anthrax-Hysterie in New York in
    der überfüllten U-Bahn

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