Mut Proben
Betriebshandbuchs den richtigen Ordner ziehen, die Skizze mit dem Entscheidungsbaum für das aufgetretene Problem suchen und es dann stur befolgen.
Bei einem blutenden Menschen, sagt Hoffmann ohne Ironie, bedeute symptomorientiertes Vorgehen: »Nicht überlegen, warum er Blut verliert, nicht das Leck suchen, um es zu stopfen. Sondern: neues Blut hinterhergießen.«
Die immer wieder auftretenden Störfälle und die jüngste Katastrophe in Japan sind für einen Großteil der Bevölkerung allerdings der Beleg, dass dieser Versuch immer ein Versuch bleiben wird. Schon nach einer Pannenserie in den deutschen Kraftwerken Brunsbüttel und Krümmel vor vier Jahren schrieb das Bundesumweltministerium in einem Dossier über die »Mythen der Atomwirtschaft«: »Atomkraft ist so komplex, dass derartige Vorfälle zu den systembedingten Risiken dieser Technik gehören«; Kernenergie sei »nicht beherrschbar«. Der Super- GAU in Fukushima hat das einmal mehr bestätigt.
Kernenergie ist nicht zuletzt deshalb unbeherrschbar, weil der Mensch sie konstruiert hat. Und der macht, nach der Logik der Kraftwerksbauer, ständig Fehler.
Technische Lösung
Die Bemühungen von Fachleuten, Gefühle beiseitezuschieben, um Risiken »unvoreingenommen und objektiv« zu betrachten, sind eine Folge der Mathematisierung unserer Kultur. Die wiederum eine Folge unserer Zivilisierung ist. Aber sosehr wir uns auch quälen: Unser Gehirn verwandelt sich nicht in einen Rechenschieber.
Menschen außerhalb von Leitwarten und Maschinenräumen empfinden stattdessen Grauen vor katastrophenträchtiger Technologie. Das Grauen könnten wir leicht abwenden, indem wir sie abschaffen. Und uns hinwenden zu Techniken mit begrenztem Havarie-Potenzial, hin also zu überschaubaren Risiken, die wir freiwillig und gerne eingehen. So würden wir zwei Tugenden kombinieren: Wir genössen weiterhin den Segen der Technik und könnten zugleich unserer Lust frönen, sie zu erfinden.
Zahlen, Fakten und Sicherheitsberechnungen allein findet unser Gehirn nicht prickelnd. Es will etwas Berauschendes erleben, braucht den Kick wie eine Droge. Seit Hirnforscher beginnen, das geheimnisvolle Treiben, das irre Gewusel von Nervenreizen, Hormonen und chemischen Botenstoffen in unseren grauen Zellen zu entwirren, schält sich die Erkenntnis heraus: Die Lust auf das Ungewisse ist kein Sicherheitsproblem, im Gegenteil – es könnte uns aus der Misere helfen. Es hilft uns nicht nur, Freizeitabenteuer zu bewältigen, sondern auch gesellschaftliche Schlüsselfragen zu beantworten: Welche Technik wollen wir? Welche Unfälle sind wir bereit zu akzeptieren? Welche Lebensqualität streben wir an, wie viel Glück, wie viel Risiko?
140 Dieses Kapitel beruht im Wesentlichen auf meinem Artikel »Gefühlte Sicherheit«, erschienen in: Brand Eins, 7/2009.
141 Wiseman, Richard: »So machen Sie Ihr Glück«, München 2003.
Macht Drachenfliegen glücklich? Es sind schon Meister vom Himmel gefallen. Ein Selbstversuch
Der Berg, von dem ich abheben will, ist gar kein echter Berg – sondern die vermutlich einzige Abraumhalde in ganz Bayern. Das passt irgendwie. Als Kind, das vom Fliegen träumte, habe ich auf solchen Hängen zwischen ehemaligen Bergwerken gespielt. Außerdem ist es ein Idiotenhügel. Passt auch. Im Winter lassen sich hier Winzlinge von einem jener Miniaturlifte, deren Bügel Erwachsene in die Waden zwicken, hinaufziehen, um dann mit Todesverachtung – Erwachsene sagen gerne: ohne Sinn und Verstand – hinunterzubrettern, auf ein Holzhäuschen zu, an dem jetzt vier Gestalten etwas verloren herumstehen. Eine davon bin ich.
Der Schlepplift ist weg, abmontiert für den sommerlichen Flugbetrieb. Stattdessen lagern in der Lifthütte Bänke und ein Biertisch für den Unterricht in Theorie sowie Helme und Gurte für die Praxis. Aber das wissen wir noch nicht. Wir warten auf den Trainer. Die Morgensonne scheint auf den fünfzig Meter hohen Hang, der kurz geschnittene Rasen glänzt feucht und saftig. Dies könnte auch ein steiler Golfplatz sein.
Wir schreiben die dritte Septemberwoche, in den Wäldern ringsherum färben sich die ersten Blätter gelb. Für uns wird diese Woche die erste unseres Lebens sein, in der wir beim Fliegen nicht durch verkratzte Plastikfenster gucken müssen, unser Schicksal nicht in die Hände fremder Männer vorn im Cockpit legen. Wir fliegen auf eigene Faust, die Nase im Wind. Nach Ansicht des Mannes, der nun naht, werden wir damit nie mehr aufhören. Wolf Schneider,
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