Mut Proben
»brennt es so richtig«, erzählt die Oberärztin: wenn Schwerverletzte eintreffen, Telefone klingeln, Menschen wiederbelebt werden müssen und sie eigentlich mit dem Rettungshubschrauber losmüssten. Das sei »ein aufregendes Gefühl«, das sie zur Hochleistung treibe.
Chesley Sullenberger erlebte dieses Gefühl, als am 15. Januar 2009 Wildgänse die beiden Triebwerke seines Airbus A 320 verstopften. Während er über New York wendete, um zuletzt weich auf dem Wasser des Hudson zu landen, fühlte er sich nicht gerade frei von Angst, wie er später erzählte – das Schicksal von einhundertfünfundfünfzig Passagieren lag in seinen Händen, wie auch sein eigenes. Doch er war umfassend ausgebildet und erfahren: Der Flugkapitän gibt Sicherheitskurse, lehrt Katastrophenmanagement, war Kampfpilot und kreist in seiner Freizeit in Segelflugzeugen am Himmel.
Mit seinem Manöver hat der »Held vom Hudson« Menschenleben gerettet – und einen lange währenden Streit befeuert: Wie weit sollte der Luftverkehr automatisiert werden? Ehrgeizige Ingenieure planen bereits, auf Langstreckenflügen führerlose Maschinen einzusetzen, die wie Drohnen vom Boden aus gesteuert werden.
Nachdem in den Sechzigerjahren Bordingenieur, Funker und Navigator das Cockpit verlassen mussten, bleibt den beiden übrig gebliebenen Piloten heute kaum mehr zu tun, als vor dem Start einen Computer mit Zieldaten zu füttern und anschließend die Instrumente zu überwachen. Über den Wolken seien nicht mehr souveräne Kapitäne unterwegs, sagt der Arbeitswissenschaftler Heinz Bartsch, Mitglied des Forschungszentrums Hochschulausbildung von Piloten, sondern Knöpfchendrücker. Und die versagten meist im Notfall, wenn sie per Hand fliegen und Entscheidungen unter extremem Zeitdruck fällen müssen.
Den Streit »Kapitän versus Knöpfchendrücker« führen stellvertretend zwei Firmen, Boeing und Airbus. In den Siebzigerjahren trat Airbus an, um den Menschen als »größte Gefahrenquelle« der Luftfahrt nach und nach zu ersetzen. Kinderleicht sollten ihre Flugzeuge zu bedienen sein, warb das europäische Unternehmen, und fegte 1987 alle Traditionen von Bord: Im A 320 fehlt die Steuersäule zwischen den Beinen; die Operatoren bedienen nun – wie bei Computerspielen – Sidesticks an den Außenseiten der Kanzel. Die setzen nicht mehr Seilzüge oder eine Hydraulik in Gang, sondern elektrische Impulse, die über Kabel zu Leitwerk und Steuerklappen führen und dort Motoren aktivieren: das System »Fly-by-Wire«. Der Pilot ist damit von der Mechanik der Maschine entkoppelt. Zudem hat Airbus einen Flugkontroll-Computer eingebaut: Der Pilot befiehlt nicht mehr, er wünscht. Er tippt etwas in den Laptop auf dem Tischchen vor sich, und wenn die Rechner der Ansicht sind, der Mann im Cockpit wolle zu extrem kippen oder beschleunigen, war er die längste Zeit Chef.
Anders bei Boeing: Hier haben Piloten nach wie vor die Entscheidungshoheit und die Maschine über ein Steuerhorn im Griff. Fly-by-Wire fliegen inzwischen auch sie, aber ein Computer errechnet den Reibungswiderstand des Flugzeugs und überträgt die mechanischen Gegenkräfte auf das Steuer. Bei Boeing fliegen die Männer und Frauen mit der blauen Mütze immer noch, wenn auch künstlich, mit dem Hintern.
Immerhin erlaubt die Airbus-Technik eine Notlandung. Sullenberger durfte seinen Airbus notwassern. Seine Idee, mitten in der Stadt auf einem Fluss zu landen, hätte man keinem Computer einprogrammieren können. Es war eine typisch menschliche, weil wagemutige Entscheidung. Das sei das »Fantastische am Menschen«, sagt Markus Kirschneck von der Pilotenvereinigung Cockpit: »Er ist in der Lage, für komplexe Situationen ungewöhnliche Lösungen zu finden.«
Vorbereitet auf das Unerwartete
Wie viel Risikobereitschaft ist nötig, um Sicherheit zu schaffen? Wie viel Vertrauen verdient eine Maschine? Wer sollte wen kontrollieren?
Automatisierung bedeutet Vorausdenken. Ingenieure und Programmierer zerbrechen sich den Kopf, um Regelfälle und Schreckensszenarien durchzurechnen. Sie planen. Und Pläne, sagen die amerikanischen Organisationsforscher Karl Weick und Kathleen Sutcliffe von der Universität Michigan, scheitern immer.
Planer unterliegen dem »zwanghaften Bemühen, Entwicklungen vorwegzunehmen«. Sie »wiegen sich in dem Glauben, dass sich die Welt in einer vorher festgelegten Art und Weise entfalten wird«. Das mache sie blind für außerplanmäßige, unerwünschte Kleinigkeiten, die sich zu
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