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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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zwangsweise der Sozialismus, und der entwickelte Sozialismus mündet schließlich im Kommunismus. Der rote Faden ist also immer das Verhältnis des Menschen zu den Produktionsmitteln. Die Schöpfung und der freie Wille des Menschen haben da keinen Platz. Geschichte aber auf diese Weise zu erklären, das fand ich damals schon unglaublich eindimensional und langweilig, und nicht zuletzt auch sehr vermessen. In der Konsequenz des Leninismus führte das zu folgender Schlussfolgerung: Da es diese naturgegebenen Gesetze gibt, sind diejenigen, die diese Gesetze erkennen und anwenden, auch berechtigt, die Führung zu übernehmen. In der Endkonsequenz heißt das: Die Diktatur wird durch den Marxismus intellektuell begründet. Das fand
ich weltanschaulich abschreckend und alles andere als idealistisch, eher furchtbar.
    Dabei war ich stark von Karl Popper beeinflusst. Dessen kleines und kluges Buch Das Elend des Historizismus , eine Kritik am Kommunismus, das durch den Gang der Geschichte zur Prophezeiung geworden war, nahm für mich eine Schlüsselfunktion ein. Es war die marxistische Gesellschaftsordnung, der Dogmatismus, der den Zorn Poppers erregte. Popper, der sich in jungen Jahren kurzzeitig dem Kommunismus zugehörig gefühlt hatte, war durch ein Ereignis aufgeschreckt worden, das sich in Wien im Jahre 1919 zugetragen hatte. Zusammen mit anderen unbewaffneten jungen Sozialisten war er auf die Straße gegangen, um für die Befreiung einiger inhaftierter Kommunisten zu demonstrieren. In der Hörlgasse erschoss die Polizei dabei zwanzig sozialistische und kommunistische Arbeiter und verletzte weitere siebzig schwer, woraufhin die Kommunistische Partei eine soziale Revolution propagierte, um den angeblich unausweichlichen Sieg des Sozialismus herbeizuführen. Die Gewissheit des Sieges gründete sich auf Erkenntnisse des wissenschaftlichen Marxismus, der glaubte, die historische Entwicklung endgültig festgestellt zu haben. Popper wandte sich daraufhin entsetzt ab vom Sozialismus, in dem er nun den Wahn einer Diktatur des Proletariats zu erkennen meinte: »Ich hatte eine gefährliche und gewalttätige Religion unkritisch und dogmatisch akzeptiert.« Ein paar Jahre später schrieb er dieses Buch, das ursprünglich mal drei längere Vorträge gewesen waren, um die methodologischen und politischen Schwächen historizistischer Doktrinen schonungslos
aufzudecken. Es war das Werk eines freien und unabhängigen Geistes. Eines Menschen, der sich keinem Dogma verbunden sieht und keiner Bewegung zugehörig fühlt, nur seinem eigenen Gewissen. Noch heute bediene ich mich bei Popper gern mit Zitaten für öffentliche Reden oder stöbere in seinem Werk herum, das auch nach über siebzig Jahren noch erstaunlich aktuell ist, heute aber leider viel zu wenig Beachtung findet.

    Mit sechzehn Jahren trat ich der CDU bei. Zum einen hatte mich also der Marxismus in die Partei geführt. Zum anderen aber auch ein Junge auf seinem Fahrrad. Regelmäßig fuhr er an unserer Schule vorbei, und ich bewunderte ihn allein dafür, dass er frei hatte und mit seinem Rad durch die Gegend brausen konnte, während ich in der Schule sitzen und lernen musste. Dieser Junge jedenfalls rief dann immer diesen einen Spruch in die Gegend, während er auf dem Fahrrad seine Runden drehte: »Wähl auch du CDU.« Das war natürlich was für mich – ein politischer Slogan, und der reimte sich auch noch. Obwohl mein Vater seit Jahren schon Mitglied war und immer wieder von der Partei erzählte, hatte ich doch kein festes Bild davon. Aber irgendwie überzeugte mich die antimarxistische Haltung und vielleicht sogar noch mehr der Junge auf dem Rad, sodass ich selbst endlich Mitglied wurde. Ich ging zur Parteizentrale in die Stadt und unterschrieb den Aufnahmeantrag. Als meine Eltern davon erfuhren, waren sie zu meiner Überraschung jedoch überhaupt nicht begeistert davon. Mein Vater war Gründungsmitglied der Hamburger
CDU, erster Landesvorsitzender der Jungen Union und später Bezirksbürgermeister in Wandsbek, doch von diesem Schritt hielt er nichts. Er und meine Mutter vertraten die Auffassung, ich sollte mich erst einmal auf die Schule konzentrieren und danach studieren. Und sie waren überzeugt davon, dass mich die Parteiarbeit davon abhalten werde. Mein Vater wusste nur zu gut, welche Reize von der Politik ausgingen. Doch es war bereits zu spät. Verhandlungen darüber waren zwecklos.

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