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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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Busch, die erste Zeile las mein Vater mit fester Stimme aus dem Buch laut vor, die zweite Zeile dann nur noch bis zur Hälfte, und ich sollte anschließend das fehlende Stück aus dem Gedächtnis ergänzen. Das hatte nichts Strenges, nichts Zwanghaftes. Wir hatten beide unsere große Freude daran, denn es bedeutete auch eine Art liebevoller Zuwendung. Es
war mir also von Kindheit an schon mit auf den Weg gegeben, laut vor anderen zu sprechen und ein Verständnis für die Sprache zu entwickeln. Auf diesem Gebiet fühlte ich mich sicher, und ich wusste, dass ich in öffentlichen Reden glänzen konnte. Ich freute mich über das Lob der anderen, in der Jungen Union machte ich mir dadurch einen gewissen Namen, und ich genoss die Gemeinschaft unter Gleichgesinnten. Wir unternahmen Reisen über mehrere Tage und Ausflüge, die von der Jungen Union organisiert wurden. Ein bisschen Pfadfinderei und Kameraderie. Neben der reinen Debatte war es also sicherlich auch die Gemeinschaft der Partei, die mich anzog.

    Doch im Grunde meines Herzens blieb ich immer ein »Einzelkämpfer«. Ich mochte die Gemeinschaft zwar, aber mich schreckte andererseits auch das Gefühl sehr ab, zu sehr von einer Gruppe vereinnahmt werden zu können. Autonomie war mir in jeder Hinsicht wichtig. Weitaus wichtiger noch, als mich einer bestimmten Gruppe loyal zu unterstellen. Bis heute empfinde ich es als Belastung, nicht als eigene Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, sondern als Teil einer Masse. Das war auch im Privaten immer so. Auch dort gehe ich schnell wieder auf Distanz, sobald mir die Leute auf die Pelle rücken. Auf Feiern bin ich selten derjenige, der bis zum Schluss noch bleibt. Meistens denke ich, nun ist alles gesagt, nun ist es gut und jetzt bin ich gern auch wieder allein. Beruflich mied ich den Stallgeruch. Gern wurde mir das auch als Überheblichkeit und Arroganz ausgelegt, doch es war einfach
nur diese tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Ein anerzogenes Grundbedürfnis meiner Kindheit nach Distanz.

    So habe ich bis zuletzt meine Politik betrieben. Ich habe punktuelle Bündnisse geschmiedet, um bestimmte Dinge zu erreichen, aber ich war keiner wie etwa Helmut Kohl, der die Leute permanent anrief und daraus ein ganzes Netz flocht, das ihn bis ganz nach oben brachte und ihm für sechzehn Jahre auch die Macht als Bundeskanzler sicherte. Trotzdem plante auch ich schon früh meinen Aufstieg sehr strategisch. Mein erstes wirkliches politisches Amt als Mitglied des Landesvorstands der Jungen Union habe ich nur durch ein strategisches Bündnis erreichen können. Der Plan funktionierte folgendermaßen: Ein Freund von mir sollte zunächst Kreisvorsitzender in Wandsbek werden. Um das zu erreichen, mussten wir aber den damaligen Amtsinhaber zuvor abwählen, denn der war es, der einen anderen im Landesvorstand haben wollte. Und das klappte.
    Ein großer Netzwerker wurde ich trotzdem nie. Es blieb bei den punktuellen Allianzen. Das mag vielleicht etwas komisch klingen, aber ich brauchte es auch nicht so wie andere. Weil die Leute mich schlichtweg immer mochten. Aus den eigenen Reihen bei der Jungen Union hörte ich später, dass gegen mich zu jener Zeit zahlreiche Intrigen geschmiedet worden waren. Wie das so ist, sollte auch ich gleich wieder abgesägt werden, sobald ich einen Posten bezogen hatte. Doch alle Versuche scheiterten. Und zwar nicht, weil ich so abgebrüht war
und die Intrigen gegen mich sofort durchschaute. Sie scheiterten schlicht an meiner Nettigkeit. Denn ausgerechnet zu denen, die gerade ihre Säge zückten, um sich an meinem Stuhl zu schaffen zu machen, war ich immer besonders nett und freundlich, sodass sie es einfach nicht über das Herz brachten, mir zu schaden.
    Das war keineswegs planmäßig so eingesetzt von mir. Ich bin da ein relativ argloser Mensch. Aber auch darin zeigte sich dieses Urvertrauen aus der Kindheit, dieses: »Mutti zahlt«; eine Grundgeborgenheit von Zuhause, die mich im Alltag trug und mir ein unerschütterliches Vertrauen mit auf den Weg gab. Wenn man so etwas ausstrahlt, dann hat man es vielleicht einfacher.

    Trotz aller Distanz zu den Dingen und Menschen habe ich eine typische »Kanalarbeiterkarriere« hinter mir. Ich bin Stufe um Stufe hinaufgeklettert, und das war planmäßig organisiert. Schon bei der Jungen Union war mir sehr bewusst, wen ich kennenlernen musste, um dieses oder jenes zu erreichen. Das habe ich strategisch gesehen und daran sehe ich auch nichts Verwerfliches. Ich war da

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