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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole von Beust
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wieder zu dem, was er schon vor dem Krieg gewesen war: ein florierendes Geschäft. Später, als die DDR entstand, nahm man ihr den Laden ein zweites Mal weg und übertrug ihn in die HO, in die sogenannte staatliche Handelsorganisation. Die einzige Möglichkeit für sie, Geschäftsführerin ihres eigenen Ladens zu bleiben, war es, Mitglied der SED zu werden. So waren die Spielregeln der Deutschen Demokratischen Republik. Meine Großmutter war weder Kommunistin noch teilte sie die Ideologien des Sozialismus, sie interessierte sich generell nicht für Politik. Aber sie wollte ihren Laden kein zweites Mal verlieren müssen, unter keinen Umständen. Und so unterschrieb sie ihre Mitgliedschaft in der SED. Aus der schlichten Notwendigkeit heraus, sich selbst zu retten. Schließlich war es der Laden, den sie von ihrem verstorbenen Ehemann übernommen und für den sie sich so unendlich aufgerieben hatte. Sie wollte in ihrer Heimat bleiben und ist auch dort gestorben. Insofern habe ich großes Verständnis
für jene Menschen, die aus taktischen Erwägungen, um sich ihr Leben zu erhalten, damals in die SED eintraten und sich dem System fügten. Entscheidend ist, wie man sich persönlich verhalten hat. Heldentum kann man von niemandem verlangen. Und ich finde es befremdlich und anmaßend, wenn sich heute Menschen darüber mokieren, wie man nur freiwillig in diese Partei eintreten und so dieses Unrechtsregime unterstützen konnte. Meist sind es jene, die nie unter einem solchen System zu leben hatten und daher nur sehr begrenzt in der Lage sind, sich in die Betroffenen einzufühlen.

    Einmal im Jahr besuchte Großmutter uns für drei Wochen in Hamburg. Und jedes Mal brachte sie einen Haufen Geschenke mit aus der DDR. Für mich hatte sie immer Spielzeug mit im Gepäck. Aber mehr noch als über das viele Spielzeug freute ich mich eigentlich über Großmutter selbst, denn ihr Besuch war eine große Bereicherung in der Einsamkeit des Naturschutzgebietes. Plötzlich war da ein anderer Mensch, mit dem ich reden und über den ich lachen konnte. Sie erzählte mir viele Geschichten von früher und aus ihrem Fünftausend-Seelen-Dorf in der DDR, aus Lübtheen.
    Überhaupt war sie eine echte Bilderbuchoma. Sie hatte schneeweißes Haar, und ich sehe sie immer noch mit einem hellblauen Pullover mit Schildkrötenkragen und einer Perlenkette darüber, was mich sehr beeindruckte als Kind. Sie war eine Mecklenburgerin durch und durch. Wenn sie kam, dann gab es Matjesfilet mit Speckstippe. Das wünschte sie sich immer, denn das hatten sie drüben nicht. Und ich
wettete mit meiner Mutter heimlich, wann der Spruch denn nun wieder kommen würde: Fisch will schwimmen. Sie trank nach dem Essen gerne ein Bier, oder auch mal zwei, und das Startzeichen dafür war dieser Spruch. Sie sprudelte nur so über vor mecklenburgischen Weisheiten. Wenn die Leute ihrem Verständnis nach skurril waren oder irgendwie auffielen in ihrer Kleidung, dann sagte sie leise lächelnd: »Wer’s mag, mag’s mögen.«
    Drei Mal etwa war ich mit meiner Mutter auch »drüben« bei ihr in der DDR gewesen. Für mich als Kind hatte das nichts Abschreckendes. Im Gegenteil. Schon die Ankunft am Bahnhof von Schwanheide war ein Ereignis. Überall an den Wänden klebten Plakate von Walter Ulbricht, Hammer und Zirkel wehten an den Fahnenmasten, und alles war etwas dunkler und geheimnisvoller als bei uns. Durch die alten Lautsprecher klirrte eine blecherne Stimme, die den Ankömmling herzlich willkommen hieß und bedeutungsvoll erklärte, man habe nun die Deutsche Demokratische Republik erreicht. In meinen Kinderohren klang das alles nach einem riesigen Abenteuer.
    Lübtheen selbst roch immer nach dieser typischen Braunkohle, mit der in der DDR bis zuletzt die Öfen befeuert wurden. Meine Großmutter sehe ich noch in ihrem Textilgeschäft stehen, hinter ihren Tresen gelehnt, wie sie dort vom Leben im Dorf erzählte und vom Tratsch der Nachbarn. Mich interessierte das natürlich nicht so sehr, vom Tratsch verstand ich nichts, aber verglichen mit dem Naturschutzgebiet bei uns kam mir das Leben hier in Lübtheen geradezu städtisch vor.
Mit einem Nachbarsjungen hatte ich mich angefreundet. Wir spielten zusammen und streiften durch die Gegend. Ich erinnere mich noch, dass ich bei einem Besuch von Zuhause ein paar Murmeln mitgebracht hatte, die so richtig schön aus Glas waren, mit Farben drinnen, die beim Kullern wunderbar changierten. Nachmittags zogen wir dann immer los, bauten uns kleine

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