Mutter bei die Fische
Aber kaum waren sie aus den Booten gesprungen, gab jemand ein Kommando und stoppte die Aktion. Grit und Falk gingen noch näher an die Absperrung heran und setzten sich in eine Düne, um dem Treiben zuzusehen. Die Szene, die sie gesehen hatten, wurde mehrmals wiederholt. Die Soldaten paddelten, sprangen ins Wasser, wateten â einige fielen in voller Montur ins Wasser â, dann wurde schon wieder gestoppt. Es waren ungefähr zehn Boote mit je fünfzehn Mann Besatzung, und die Neoprenhelfer hatten offensichtlich alle Hände voll zu tun, die schweren Boote davon abzuhalten, ins Meer zu driften. Auch die Komparsen taten sich schwer. Es schien, als würden sie von Szene zu Szene langsamer und schwerfälliger. Regisseur und Kameramann waren offensichtlich nie zufrieden mit dem, was sie geboten bekamen, nach jedem Dreh kam der Regisseur aus einem kleinen schwarzen Minizelt, in dem sich ein Monitor befand, auf dem er die Dreharbeiten verfolgte, im Schlepptau die Regieassistentin und andere Lakaien, schüttelte missmutig den Kopf, wedelte mit den Armen und beriet sich mit dem Kameramann. Dann begann alles wieder von vorne.
»Wie öde«, fand Falk, und Grit gab ihm recht. Es sah insgesamt nicht nach einer Arbeit aus, die man gerne ausüben würde. Wann immer Falk ans Set gekommen war, hatte er das Gleiche empfunden: gähnende Langeweile wegen der ewigen Wartezeiten, in denen nichts passierte, weil Licht, Ton oder Set neu eingerichtet wurden. Wurde tatsächlich gedreht, dann ein und dieselbe Szene wieder und wieder. Die Leute taten ihm leid, und Falk fragte sich, warum Bertie stets mit Begeisterung von seiner Arbeit sprach. Vermutlich war dies eher dem monatlichen Gehaltsscheck geschuldet.
»Ach, guck mal«, Grit zeigte mit dem Finger auf eine kleine Szenerie am Rande des Sets, »was macht Nancy denn da? Spielt die auch mit?«
Sie waren nicht nah genug dran, um Genaueres zu erkennen, aber dass es sich tatsächlich um Nancy handeln musste, konnte er auch auf diese Entfernung erkennen. Nancy war die kapriziöse Tochter der von Boisterns. Alle nannten sie nur die »Paris Hilton von Heisterhoog«, und das war nicht nur äuÃerlich zutreffend. Sie war ebenso klapperdürr und exzentrisch gekleidet wie die Hotelerbin und hatte mit Sicherheit einen ähnlich groÃen Kleiderschrank. Statt eines SchoÃhündchens führte sie allerdings ihren Verlobten spazieren â Ole Reents. Ole war ebenso groà und breit wie dumm und führte die »Rum-Ba-Bar« in Süderende. Die hatte ihm sein Schwiegervater in spe zur Verfügung gestellt, damit Ole mehr darstellte als nur das Anhängsel seiner Tochter.
Nun saà Nancy hier bei den nächtlichen Dreharbeiten und amüsierte sich augenscheinlich bestens. Ihre langen platinblonden Haare flogen hin und her, weil Nancy wieder und wieder den Kopf nach hinten warf und geziert lachte. Dazu gestikulierte sie wild und neigte sich sehr nah zu ihrem Gesprächspartner. Und das war, ebenso unschwer zu erkennen, der unvermeidliche Gernot Limpinsel.
Gernot und Nancy schienen völlig unbeeindruckt von den mühsamen Dreharbeiten an der Wasserlinie, von den armen Komparsen und Helfern, die immer wieder in die kalte See mussten. Falk fragte sich, was Gernots Aufgabe als Coach bei den Dreharbeiten war, wieso er da rumsaÃ, obwohl er offensichtlich nichts zu tun hatte. Aber vermutlich wollte er der Tochter seiner Vermieter nur mal die Arbeit am Set zeigen und ein bisschen angeben, beantwortete Falk sich seine Frage selbst.
»Jetzt wirdâs kalt«, sagte seine Mutter gerade, stand auf und klopfte sich den feuchten Sand von Gesäà und Beinen.
»Ich bring dich zurück«, bot Falk an, aber Grit winkte ab. Sie wollte mit Falk nach vorne zur StraÃe gehen, und Piet, dem sie eine SMS geschickt hatte, würde sie dort abholen. Falk war einverstanden, und kaum hatten sie die StraÃe erreicht, sahen sie auch schon Piets kleinen Lieferwagen.
»Danke, Mama«, sagte Falk und umarmte Grit liebevoll. Diese küsste ihn zum Abschied mütterlich auf die Backe und stieg dann in den Wagen, während Falk nach links abbog, um den FuÃweg durch den Wald nach Tüdersen zu nehmen. Der Waldweg war immerhin beleuchtet, denn eine Handvoll Gesegnete hatten ihre Grundstücke in dem Kiefernwäldchen bebaut, als dies noch erlaubt war. Seit den Siebzigern war für diese exklusive Lage keine Baugenehmigung mehr
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