Mutter bei die Fische
Figur in seinen erbärmlichen Romanen, dachte Falk. Wahrscheinlich schreibt er gerade an einem Vater-Sohn-Drama und ist zu Recherchezwecken angereist. So eine Art Method-Writing, wo man alles, worüber man schreibt, auch selbst erlebt haben muss. Falk hatte keine Ahnung vom Schreiben, aber die plötzliche Anwesenheit seines Vaters lieà keine andere Deutung zu.
»Ehrlich gesagt«, Falk zögerte, »nicht wirklich. Nein.«
Harms blickte ihn an und nickte. Sein groÃer Kopf mit der grauen Lockenmähne wippte auf und ab wie bei einem dieser Wackeldackel, die früher auf der Hutablage im Auto saÃen. »Verstehe«, lieà er sich vernehmen. »Ich verstehe. Ich habe nichts anderes erwartet.«
Dann nahm er seine Tüte mit den Bierdosen und machte Anstalten, zur Bushaltestelle zurückzuschlurfen. Aber er hielt doch noch einmal kurz inne, wandte den Kopf über die Schulter und sagte zu Falk: »Verzeih mir.« Mit gebeugtem Rücken ging er weiter.
Falk verdrehte die Augen. Was für ein theatralischer Abgang! Er hatte seinen Vater fast fünf Jahre nicht gesehen, dann kam er aus völlig unerfindlichen Gründen hierher, auf die kleine Insel Heisterhoog, und tat BuÃe? Das konnte nicht sein. Irgendetwas war da faul.
»Warte mal, Pa.« Falk folgte Harms ein paar Schritte, aber dieser tat, als hätte er nichts gehört. Erst als Falk ihn an der Schulter zurückhielt, stoppte er.
»Was tust du hier? Wolltest du mich besuchen? Wo wohnst du?« Plötzlich sprudelten die Fragen nur so aus Falk hervor.
»Ach, schon gut, mein Sohn.« Harms tätschelte Falks Hand flüchtig und verdrehte dann die Augen zum Himmel. »Ich habe es nicht anders verdient. Was habe ich mir nur gedacht?«
Falks Magen zog sich zusammen. Harms bot ihm ein armseliges Schauspiel, er war auf alle Fälle ein besserer Schriftsteller als Schauspieler, aber trotzdem: Den weiten Weg von Manhattan nach Tüdersen hatte Harms doch nicht ohne Grund zurückgelegt.
»Jetzt komm schon.« Falk zog Harms am Arm von der Bushaltestelle weg.
Harms seufzte nur theatralisch.
»Ist das Bier oder ist das Bier?« Falk deutete auf die Tüte, die um Harmsâ Knie schlenkerte.
»Tja«, sein Vater hob hilflos die Tüte in die Höhe. »Ich wusste nicht, was du so trinkst. Also dachte ich, Bier ist nie verkehrt.«
Falk nickte und schlug den Weg zu seiner Kate ein. Harms folgte ihm, hielt aber einen Schritt Abstand wie ein geprügelter Hund. Ein Gespräch machte das unmöglich. Falk war der Ansicht, dass er seinem Vater nicht den kleinen Finger reichen sollte. Wenn dieser sich schuldig fühlte für die lebenslange Vernachlässigung â bitte, recht hatte er. Andererseits: Falk hatte das für sich schon längst abgehakt. Er hatte keinen Bock auf Sentimentalitäten und tiefgehende psychologische Gespräche, die die Wunden der Vergangenheit wieder aufgerissen hätten. Er hätte es affig gefunden, seinen Vater einfach stehenzulassen. Es müsste doch möglich sein, einen ganz normalen Abend unter Männern, erwachsenen Männern, miteinander zu verbringen, oder nicht?
Und zunächst sah es auch danach aus. Falk setzte seinen erstaunlich wortkargen Vater auf einen Stuhl und verschwand selbst in die Küche. Er hatte nach dem üppigen Mahl, das er bei Piet bekommen hatte, keinen Hunger mehr, aber Harms hatte angedeutet, dass er seit seiner Landung in Hamburg-Fuhlsbüttel nichts gegessen habe. Im Bummelzug von Hamburg an die Küste hatte es nichts gegeben (das stimmte), auf der Fähre hatte Harms nichts Ansprechendes auf der Karte gefunden (konnte durchaus sein), und im Hotel hatte die Küche schon geschlossen (völlig unglaubwürdig). Also schmierte Falk seinem Vater ein paar Brote mit Mettwurst und Käse, stellte noch saure Gurken und Perlzwiebeln im Glas auf den Tisch, und dann öffneten sie beide zischend eine Dose Bier.
Harms hatte sich neugierig umgesehen, und sein Gesichtsausdruck schien plötzlich ganz weich zu werden.
»Wann warst du das letzte Mal hier?«, erkundigte sich Falk.
Harms musste nicht lange überlegen. »Bevor ich in die USA bin. Damals.«
Falk meinte zu erkennen, dass die Augen seines Vaters einen feuchten Schimmer bekamen. »Als du dich von Sten verabschiedet hast also.«
Sein Vater nickte und starrte auf die Bierdose. »Wir haben gestritten. Schlimm gestritten. Sten hat mir groÃe
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