Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
während derer er meine Mutter verbal angreift. Sie jedoch versteht gar nicht, was er von ihr will. Ich muss noch einmal mit ihm reden.
Als er auf die Terrasse rennt, leise vor sich hin schimpfend, folge ich ihm. Ich nehme all meinen Mut zusammen, denn ich will ihm jetzt mal richtig den Kopf waschen.
»Vater, das geht so nicht mehr!«, platzt es aus mir heraus. »Du musst akzeptieren, dass Mutter krank ist. Dein Benehmen ihr gegenüber ist nicht schön. Genauer gesagt, deine ungeduldige Art verwirrt sie noch mehr! Und ich … ich halte das auch nicht mehr aus!«
Eigentlich wollte ich viel energischer sein. Aber ich schaffe es nicht. Er ist doch mein Vater! Wie kann ich ihn da zurechtweisen?
Er antwortet nicht auf meine Worte. Sein Gesicht wirkt verschlossen und verhärmt. Er setzt sich auf einen Terrassenstuhl und schaut auf den Boden. Für mich wäre es viel einfacher, wenn er offen zu mir wäre. Tritt ein Problem mit meiner Mutter auf, könnte er mich doch darauf ansprechen! Aber der einzige Weg, den er gehen kann, um auf sich aufmerksam zu machen, sind unkontrollierte Aktionen, die mich in Panik versetzen.
Offene Gespräche waren noch nie seine Stärke. Wie konnte ich nur denken, dass ich jetzt mit ihm vernünftig reden kann? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Versuch zu beenden.
Zum Glück kommt Tessa in diesem Augenblick aus der Mittagspause zurück. Sie setzt meine Mutter in den Rollstuhl und nimmt sie mit in die Küche. So hat mein Vater eine Verschnaufpause, und ich kann wieder nach oben gehen.
Am Nachmittag fasse ich einen Entschluss: Ich werde den Hausarzt um ein Gespräch bitten. Er hat vielleicht eine Lösung für uns.
Im Moment bin ich mir nicht mehr sicher, wer das größere Problem ist – meine Mutter mit ihrer Demenzerkrankung oder mein Vater, der offensichtlich ein psychisches Problem hat.
Noch am selben Abend telefoniere ich mit dem Hausarzt. Ich schildere die Verfassung meines Vaters, und gemeinsam kommen wir zu dem Entschluss, dass ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ihm helfen könnte.
Einige Tage später sitze ich mit meinem Vater und dem Hausarzt an einem Tisch. Das Gespräch verläuft nicht gut. Schon der Anfang lässt Schlimmes erahnen. Als der Arzt erwähnt, dass ich mit ihm Kontakt aufgenommen hätte, weil ich mir Sorgen machen würde, verfinstert sich die Miene meines Vaters.
»Aha! Ihr habt euch wohl schon besprochen, was?«, sagt er, unüberhörbar verbittert.
»Nein. Ihre Tochter macht sich Sorgen um Sie. Sie sehen tatsächlich sehr gestresst aus«, gibt der Arzt zurück und lächelt mitfühlend. »Sicher ist es nicht leicht mit Ihrer Frau.« Er hält kurz inne, dann fährt er fort: »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie in einer Klinik psychologische Hilfe bekommen können. Durch Gespräche und entsprechende Medikamente kann Ihnen gut geholfen werden.«
Seine einfühlsame Stimme, mit der er versucht, meinen Vater zu sensibilisieren, hat keine Wirkung. Schon die pure Erwähnung des Wortes Psychiater löst bei diesem blankes Entsetzen aus.
»Ja, genau! Das hab ich mir gedacht!«, wettert er. »In die Klapse wollt ihr mich abschieben. Das könnte euch so passen! Alt, blöd und weg damit.«
Seine Worte treffen mich hart. Er liegt total daneben mit seinem Verdacht. Ich hatte die Hoffnung, er könnte mithilfe von Fachärzten einen Weg finden, mit der Situation zurechtzukommen. Ich kann nicht verstehen, wieso er sich jeglicher Hilfe entzieht.
Die Persönlichkeitsveränderung meines Vaters ist zu offensichtlich. Ob sie nun durch den Schlaganfall ausgelöst wurde oder eine Konsequenz der Krankheit seiner Frau ist, spielt nur eine Nebenrolle. Mir ist wichtig, dass er wieder er selbst wird. Er soll wieder Lebensqualität bekommen und sich über Dinge freuen können. Sein zunehmend aggressives Verhalten im Wechsel mit den depressiven Schüben macht mir Sorgen und belastet, wenn auch unbewusst, meine Mutter ebenfalls.
Obwohl ich immer wieder versuche, meinem Vater zu erklären, dass wir ihn ganz sicher nicht abschieben, sondern ihm nur helfen wollen, lässt er sich nicht besänftigen. Er wird richtig böse mit mir.
»In die Klapsmühle mit dem Alten. Das könnte dir so passen«, faucht er mich erneut an.
Nach einer halben Stunde geben der Arzt und ich das Gespräch auf. Am Gartentor versucht er mich zu trösten: »Nehmen Sie es nicht persönlich. Er meint das ganz sicher nicht so. Aber wir können ihn nicht gegen seinen Willen
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