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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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Adresse einer Frau, die uns für ein paar Stunden mittags zur Verfügung stehen kann. Sie soll ab der kommenden Woche regelmäßig kommen. Die Ärzte versuchen zudem, die Unruhe meiner Mutter mit neuen Medikamenten zu behandeln. Es ist ihnen noch immer nicht gelungen, sie richtig einzustellen. Da die Dosis bisher wohl zu niedrig war, weil sie gar nicht zur Ruhe kam, versuchen wir es jetzt mit einer höheren. Das hat zur Folge, dass meine Mutter so sediert ist, dass sie ständig vom Rollstuhl rutscht.
    »Mein Gott! Wir bringen sie noch um!«, sagt Tessa.
    Da denke ich zum ersten Mal, dass es nicht die schlechteste Lösung für meine Mutter wäre, einfach für immer einzuschlafen. Was hat sie denn noch vom Leben? Jedes Mal, wenn ich sie sehe, schaut sie mich mit ihren großen blauen Augen tieftraurig an. Ich weiß genau, was sie denkt und nicht mehr aussprechen kann: Martina, wann darf ich endlich sterben?
    Genau das ist es, was mich nicht mehr loslässt.
    Bei einem erneuten Gespräch mit den Ärzten empfehlen diese, die Medikamentendosis wieder zu verringern.
    In der Wohnung der Eltern ist es ruhig, als ich an diesem Tag von der Arbeit nach Hause komme. Also gehe ich nach oben, um das Essen zuzubereiten. Ich weiß, dass Tessa ihre Mittagspause nutzt, um einige Besorgungen zu machen, das hat sie mir am Morgen erzählt, die Eltern sind allein.
    Ich stehe gerade in der Küche, als ich von unten Geräusche höre. Gleich gehe ich zum Fenster und sehe hinunter in den Garten. Von der Terrasse meiner Eltern geht es leicht bergab in den Garten. Dort hantiert mein Vater mit dem Rollstuhl, in dem meine Mutter sitzt. Er rüttelt und schüttelt an dem Stuhl und versucht mit Gewalt, in den abschüssigen Garten zu fahren. Der Stuhl hat sich aber längst in dem nassen Rasen festgefahren, und meine Mutter droht, gleich herauszurutschen. Sie fuchtelt mit ihren Armen hin und her und sagt etwas, das ich nicht verstehe. Vaters Gesicht ist total angespannt, er ist unsicher auf den Beinen. Gleich liegen sie beide im nassen Gras, denke ich. Die Situation eskaliert.
    Ich reiße die Balkontür auf und schreie: »Was zum Teufel, machst du da? Warte! Ich komme!«
    Schnell sprinte ich nach unten. Dort angekommen, will ich den Rollstuhl den Hang hochziehen. Mein Vater aber lehnt sich dagegen und schiebt in die andere Richtung.
    »He!«, brülle ich ihn an. »Wohin willst du denn?«
    »Weg! Deine Mutter will mal wieder weg!«, herrscht er mich an.
    Er lässt los, und es gelingt mir, den Stuhl auf die Terrasse zu ziehen. Mittlerweile ist auch Jens heruntergekommen. Er hat wohl den Krach in seinem Arbeitszimmer gehört und hilft mir, meine Mutter wieder richtig hinzusetzen. Mein Vater indessen geht in die Wohnung und schimpft vor sich hin.
    »Scheißpfleger! Kannst du vergessen. Kosten nur Geld und arbeiten nicht.«
    Offenbar haben die Medikamente nicht genügend gewirkt, und meine Mutter hat in der Mittagspause immer wieder gerufen. Auch die neue Dosierung ist nicht die richtige. Ich beschließe, in der Wohnung meiner Eltern zu bleiben, bis die Pflegerin zurückkommt. So kann es tatsächlich nicht mehr weitergehen. Weder für mich, noch für meinen Vater. Nachdem sich die Vorfälle häufen, bin ich schon auf Hochspannung, wenn ich mittags nach Hause komme. Inzwischen freue ich mich über jeden geschäftlichen Nachmittagstermin, der mich davon abhält, zu Hause zu sein. Aber bis die Übermittagsbetreuung kommt, müssen wir durchhalten.
    Meine Mutter zählt vor sich hin. »Drei, fünf, sieben …«
    Mein Vater redet eindringlich auf sie ein: »Nein, eins, zwei, drei, vier, fünf …
    »Vati, jetzt lass sie doch bitte«, sage ich.
    Er lacht mich an und meint: »Wir üben doch nur ein bisschen.«
    Humor und Zorn wechseln bei ihm ständig. Er ist total zerrissen. Ich habe das Gefühl, dass er meine Mutter mit seiner Zählerei noch mehr durcheinanderbringt und versuche ihn abzulenken, doch er ist wie besessen davon, Mutter die richtige Zahlenfolge beizubringen.
    »Eins, zwei, drei!«, ruft er immer lauter. Dabei greift er nach ihrem Arm. »Hallo! Hörst du mich?«
    Ich spreche ihn direkt an: »Vater! Lass das jetzt!«
    Da steht er auf und rennt im Wohnzimmer hin und her. Die Situation wird immer schwieriger. Ich sitze da und fühle mich hilflos. Es ist mal wieder einer der Momente, in dem offensichtlich wird, dass mein Vater es nicht schafft, sich mit der Krankheit seiner Frau zu arrangieren. Seine Hilflosigkeit führt immer häufiger zu Wutanfällen,

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