Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
oben.
»Wenn du schon alles weißt, dann klappt es jetzt bestimmt wieder«, raune ich und versuche, mir nichts von meiner Gereiztheit anmerken zu lassen.
»Genau!«, lacht er und tippt weiter auf seiner Tastatur herum.
»Haha«, rufe ich zurück und muss tatsächlich lachen. Er ist schon ein lustiger Kauz.
Trotz dieser sich ständig wiederholenden Szenen bewundere ich ihn für seine Ausdauer und seine Offenheit für neue Dinge. In dieser Eigenschaft bleibt er für mich immer ein Vorbild.
Am nächsten Tag erzähle ich den Kursteilnehmern bei einer Internetschulung von meinem Vater. »Er hat mit fünfundsiebzig Jahren noch begonnen, das Internet zu erforschen. Da sollten Sie das doch in Ihren jungen Jahren auch hinkriegen«, berichte ich stolz.
Die Teilnehmer sind beeindruckt und strengen sich ein bisschen mehr an. Zumindest bilde ich mir das ein.
Meine Mutter hingegen kann sich mit den technischen Errungenschaften nicht so gut anfreunden. Zwar liest sie die täglichen Nachrichten im Lokalteil der Tageszeitung, aber mit den technischen Dingen der Welt will sie sich nicht mehr belasten. Ihre Aktivitäten sind dennoch ebenso vielfältig wie zeitaufwendig. Sie engagiert sich in der Seniorenarbeit und organisiert jede Woche die Treffen im Ort. Sie kümmert sich um den Kaffee, backt Kuchen und telefoniert viel, denn die Leute wollen persönlich von ihr eingeladen werden. Bei schönem Wetter steht sie im Garten und pflegt mit Hingabe ihre Rosenbeete, ihre Kräuter und den Gemüsegarten. Bei knapp tausend Quadratmetern hat sie damit gut zu tun, beklagt sich aber nie darüber. Mein Vater ist eher ein Gartenmuffel, was meine Mutter jedoch nicht weiter belastet.
»Jedem das Seine«, ist ihre Devise.
Unsere Mutter hat, wie die meisten Mütter, alles für die Familie getan und sich selbst dabei wenig Beachtung geschenkt. Eigentlich ist sie nie krank, auch kleine Gebrechen werden von ihr meist verschwiegen.
»Es gibt Schlimmeres«, war stets ihre Antwort auf die Frage, ob sie vielleicht krank sei. Das wurde ihr letztendlich zum Verhängnis. Es hätte meinem Vater nicht geschadet, wenn er schon früher gelernt hätte, die ein oder andere Aufgabe von meiner Mutter zu übernehmen, anstatt sie von anderen einzufordern, wie er das beispielsweise später dann von mir tat.
Heute würde ich ihr gern zurufen: Gesteh dir und deiner Familie deine Schwächen ein. Sei krank, und wenn du krank bist, dann fordere frühzeitig dein Recht auf Fürsorge und Pflege ein! Mütter und Frauen dürfen auch krank und hilfsbedürftig sein!
Aber ich kannte es lange Zeit nicht anders, und ändern konnte ich weder meine Mutter noch meinen Vater.
Schon kurz nach unserer Rückkehr sehe ich, wie aktiv meine Eltern tatsächlich sind. Ständig sind sie unterwegs bei Veranstaltungen, zu Besuch bei Freunden oder auf Ausflug mit anderen Senioren. Sie haben einen hohen sozialen Status in der Dorfgemeinschaft und einen großen Bekanntenkreis.
In den nächsten Wochen bin ich mit dem Auf- und Ausbau des Schulungscenters beschäftigt. Ich verhandle mit Firmen und Arbeitsamt, während Jens weiter unsere Geschäftspartner in Griechenland betreut. Die Geschäfte laufen mal gut, mal weniger gut. Im Schulungsbereich sowie in der Personalvermittlung der Touristikbranche drängen immer mehr Anbieter auf den Markt. Für uns bedeutet das, ständig flexibel zu reagieren und neue Marketingstrategien zu entwickeln. Trotz der Doppelbelastung Geschäft und Familie gelingt es Jens und mir, Schritt für Schritt eine zweite Existenz in Deutschland aufzubauen. Finanziell läuft es dank einiger erfolgreicher Projekte gut. So gut, dass wir uns einen Jugendtraum erfüllen und ein Islandpferd anschaffen. Eine Oase der Entspannung für die gesamte Familie. Gemeinsame Ausflüge in die Natur am Sonntag oder die wöchentlichen Reitstunden für Lena schaffen die nötige Distanz zum stressigen Alltag.
Endlich geht es aufwärts.
Angekommen
Mittlerweile sind drei Jahre vergangen, und wir haben uns gut eingelebt in Deutschland. Unsere Tochter genießt die Nähe zu Oma und Opa, mit denen sie sich wunderbar versteht. Meine Mutter kocht besonders gern Nudelsuppe für sie. Die Lieblingsbeschäftigung meines Vaters mit seiner Enkeltochter ist das Toben über die Sofas. Ich möchte zu Oma gehen!, wird der Lieblingssatz meiner Tochter.
Manchmal muss ich sie bremsen. »Jetzt nicht, Oma und Opa haben sich hingelegt. Du weißt doch, dass die beiden ihre Mittagspause brauchen.«
Lesen ist für
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