Mutterliebst (German Edition)
Aufforderung. Richterin Hempstead geht zu ihrem Pult, steigt die fünf Stufen hinauf, die sie über das gemeine Volk unter ihr erheben, und nimmt ihren Platz in dem hohen Lehnstuhl ein. Sie nickt dem Gerichtsdiener zu.
„Alle Anwesenden sind in dieses Gericht berufen, um zu hören und angehört zu werden“, fährt er fort. „Das ist das 158. Revier, Bezirksgericht von Plano, die Ehrenwerte Richterin Clarissa Hempstead hat den Vorsitz. Wir rufen Fall Nummer 14-33698 auf.“
Die Richterin lässt ihren Hammer herabsausen und setzt eine Lesebrille auf. Sie bedeutet der Gerichtsschreiberin, deren Hände über der Tastatur verharren, mit dem formellen Protokoll anzufangen. Dann öffnet sie eine Akte und beginnt, ohne den Blick zu heben, ihre strenge Eröffnungsrede. „Laut Protokoll handelt es sich heute sowohl um eine Anhörung zur Beweisaufnahme, die feststellen soll, ob die Angeklagte rechtmäßig auf Kaution entlassen wurde, sowie um eine Anhörung, um festzustellen, ob genug Grund besteht, ein Strafverfahren gegen den Angeklagten, in diesem Fall Max Parkman, einzuleiten. Das Gericht wird dabei nur Beweismittel berücksichtigen, die einen Aufschluss darüber zulassen, ob gegen beide Angeklagte genug Indizien für eine Anklage vorhanden sind.“ Sie wirft einen gebieterischen Blick durch den Gerichtssaal. Die Anwälte nicken respektvoll. „Ebenfalls für das Protokoll“, fügt sie hinzu, „wird der Antrag der Verteidigung auf Beweismittelunterdrückung wegen Kreuzkontamination abgelehnt.“
Max umklammert Sevillas’ Arm. „Was bedeutet das, Tony? Ist es schlecht?“
Sevillas drückt Max’ Schulter und blickt dabei stur nach vorn. Und ob es schlecht ist. Das heißt, dass alles zugelassen wird: der blutige Kamm, falls sie ihn denn finden, die blutige Kleidung, Jonas’ St.-Christopher-Medaillon – all die erdrückenden Beweismittel. Er senkt den Kopf und schreibt etwas auf seinen Notizblock. Dabei schaut er nicht zu Langley hinüber.
Hempstead beendet das, was eine Diskussion zwischen dem Gerichtsbeamten und dem Gerichtskoordinator zu sein scheint, dann wendet sie sich an das Publikum. „Das Gericht bemerkt, dass Angehörige der Presse uns mit ihrer Anwesenheit beehren.“ Sie schenkt den Reportern einen vernichtenden Blick. „Ich werde das nur ein einziges Mal sagen. In diesem Gerichtssaal werden keine Fotos gemacht, und es wird keine Störungen durch die Presse geben. An der Tür werden Sie Ihre Kameras überprüfen lassen. Falls Sie nicht so lange zu bleiben beabsichtigen, bis das Gericht eine Pause einberuft, sollten Sie gar nicht erst kommen. Ich lasse nämlich nicht zu, dass Leute ständig aufspringen oder rein- und rausgehen und damit sowohl Anwälte als auch Zeugen stören.“ Sie blickt über ihren Brillenrand hinweg. „Mr Neville?“
Ein Mann mit glatten grauen Koteletten und teurem Anzug erhebt sich. „Jawohl, Euer Ehren?“
„Ich möchte niemanden namentlich erwähnen, aber sollte jemand in diesem Gerichtssaal mit irgendeiner Art Aufnahmegerät erwischt werden, wird er wegen Missachtung des Gerichts verklagt.“ Der Mann nimmt hastig wieder Platz. Hempstead wendet sich an die Anwälte. „Nun, Gentlemen“, sagt sie. „Fangen wir an.“
Langley spricht leise mit seinen Gehilfen und deutet auf einen Haufen Papiere vor sich. Er zieht ein Dokument aus dem Berg heraus und begutachtet es.
Die Richterin klopft ungeduldig mit ihren manikürten Fingernägeln auf das Pult. „Mr Langley?“
Er schaut auf. „Ja, Euer Ehren?“
„Wollen Sie nun anfangen, oder soll ich die Kautionsregelung der Angeklagten genau so lassen, wie sie ist?“
„Absolut nicht, Euer Ehren.“ Jetzt spricht er mit Lichtgeschwindigkeit. „Der Staat ist bereit, fortzufahren.“
„Wie schön. Dann rufen Sie Ihren ersten Zeugen auf.“ Die Richterin hebt eine Hand, als der Gerichtsdiener ihr etwas ins Ohr flüstert. Sie schaut zu der Bank der Verteidigung hinüber. „Mr Sevillas?“
Er erhebt sich. „Ja, Euer Ehren?“
„Wäre es unverschämt von mir zu fragen, wo sich die andere Angeklagte befindet?“
Sevillas räuspert sich. „Natürlich nicht, Euer Ehren. Ich fürchte, dass Miss Parkman in der vergangenen Woche sehr krank war. Der Doktor hat ihr strenge Bettruhe verordnet. Sie hat mir versichert, dass sie, wenn es irgendwie möglich ist, heute hier sein wird.“
„Heißt das jetzt, sie kommt oder sie kommt nicht?“ Die braunen Augen, die durch die Lesebrille vergrößert werden, wirken alles andere als
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