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Mutterliebst (German Edition)

Mutterliebst (German Edition)

Titel: Mutterliebst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette van Heugten
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sie nichts gesehen hat. Das hätte ihm gerade noch gefehlt – dass sie einen Blick auf den armen Okie wirft, der mit einem Taxi durch Chicago kutschiert. In dem Fall würde er ihr endlos Geld in den Rachen stopfen müssen. Sobald sie im Haus verschwunden ist, macht er eine kreisförmige Handbewegung, die dem Taxifahrer bedeutet, dass er ein paarmal um den Block fahren soll. So lange sollte es nicht dauern. Entweder erfährt er hier etwas, oder sie schickt ihn wieder in den Regen hinaus.
    Sie wartet in dem schmalen Eingangsflur und zwingt ihn, die Schuhe an einem alten Handtuch abzuputzen, das sie als Fußmatte benutzt. Er hängt seinen tropfnassen Regenmantel und den triefenden Hut an einen klapprigen Garderobenständer und folgt ihr in ein beengtes Wohnzimmer. Sie setzt sich in einen Lehnsessel, der neu gewesen sein muss, als Eisenhower Präsident war. Die Füllung quillt an manchen Stellen heraus, und der Sitz ist über den Sprungfedern eingefallen. Auf einem spindeldürren Tischchen befinden sich ein Aschenbecher und eine Packung Lucky Strikes – filterlos. Sie zieht eine Zigarette heraus und zündet sie an. Während sie tief inhaliert, schließt sie die Augen, dabei scheint sie kein bisschen auf den ersten Faustschlag des reinen Tabaks zu reagieren. Er tastet in seiner Tasche nach seinen Marlboro Lights. Kein echter Mann würde solchen Mist für Schwächlinge rauchen. Wahrscheinlich hält sie ihn nun für ein Weichei. Sie sitzen da und rauchen, wobei sie sich gegenseitig beobachten.
    Das Wohnzimmer ist unglaublich stickig. Das trübe Licht, das von der einen Glühbirne an der Decke stammt, erhellt die Körper von unzähligen Motten, die sicherlich in den letzten fünfzig Jahren hier gestorben sind. Ihre toten Körper bilden ein groteskes Szenario gegen das Glas. Braune Wasserflecke zieren die Gipswände, die einen Flickenteppich aus Hell und Dunkel zeigen. Der kleine Fernseher steht auf einer Plastikkiste. Er sieht so alt aus, dass Doaks sich fragt, ob es sich überhaupt schon um einen Farbfernseher handelt. Er schiebt seinen Stuhl zurück und versucht, mehr von der unteren Etage zu sehen.
    „Hören Sie auf damit!“, faucht die alte Frau ihn an. „Versuchen Sie ja nicht, hier rumzuschnüffeln. Das ist nicht Ihr gottverdammtes Haus, Mister. Es ist meins.“
    Doaks nimmt eine reumütige Haltung ein. „Tut mir leid, Ma’am. Ich habe nur versucht, mir meine Frau und meinen Sohn hier vorzustellen. Wie sie gelebt haben, wo sie vielleicht hingegangen sein könnten …“ Er lässt seine Worte verebben, während er nachdenklich ins Leere blickt.
    Ihr Blick ist wieder stahlhart. „Bullshit.“
    „Wie bitte?“
    „Ich sagte ‚Bullshit‘. Hören wir mit dem Scheiß auf, Mr Johnson, ja?“ Ihr Lächeln entblößt die gute Arbeit eines Zahnarztes, die jedoch mit den Jahren den Bach runtergegangen ist. Die alte Schachtel hat ihre Zigarette bereits bis zu den fleckigen Fingern heruntergeraucht. Sie schnaubt kurz und stopft den Stummel in den überquellenden Aschenbecher. „Kommen Sie, wer auch immer Sie sind. Sie mögen ja nicht schlecht sein, aber ich bin besser. Sie wissen rein gar nichts über diese Frau und ihr Kind, stimmt’s?“
    Doaks schweigt.
    Sie nickt Richtung Straße und grinst dabei gerissen. „Sie gehören genauso wenig in das Taxi da draußen wie ich. Ihnen steht Privatdetektiv auf die Stirn geschrieben.“
    Doaks lächelt. Es macht ihm nichts aus, dass sie ihn entlarvt hat, solange sie bereit ist, mit ihm zu reden. Also legt er die Maske ab, genauso wie den Charme. „Doch, ich weiß einiges über die beiden, aber sie gehören nicht zu mir, da haben Sie recht.“
    Sie nickt, ganz so als habe er gerade einen Test bestanden. „Also, warum belästigen Sie dann eine alte Frau?“ Sie fängt seinen Blick auf und deutet auf eine halbleere Flasche Whiskey und ein verschmiertes Glas, die auf dem Fernseher stehen. Er bringt sie ihr. Sie schenkt eine großzügige Portion ein – mindestens zwei Finger breit – und dann bietet sie das Glas Doaks an.
    „Nein, danke. Trinken Sie nur.“
    Sie schüttelt den Kopf. „Nehmen Sie es.“
    „Wollen Sie, dass ich ein zweites Glas holen gehe?“ Er kann sich besser umschauen, wenn sie ihn in die Küche gehen lässt.
    „Nee, ich mag’s lieber direkt aus der Pulle.“ Sie legt den Kopf zurück und lässt die billige braune Flüssigkeit die Kehle hinabrinnen. Dabei schmatzt sie zufrieden. Schließlich verengt sie die Augen. „Lassen Sie uns zum Geschäftlichen

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