Mutterschuldgefuehl
Sabberflecken auf der Brust und habe das dumpfe Gefühl, irgendetwas nicht richtig zu machen. Und wenn ich dann Ratgebertexte lese, die sich offenbar an eine völlig begriffsstutzige Person richten, kann ich nur schamerfüllt den Kopf senken. So lese ich Anfang des dritten Jahrtausends liebevoll mahnend unzählige Sätze wie diese an die unbedarfte Mutter, zum Beispiel in einem »Leitfaden für Eltern« der Bundesgesundheitszentrale:
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»Jetzt ist das Baby ein eigenständiges Wesen, aber es braucht weiterhin Ihre körperliche Nähe, Ihre Wärme und liebevolle Zuwendung. (â¦) Wenn Sie wieder zu Hause sind, müssen Sie sich zunächst ganz auf die Bedürfnisse Ihres Babys einstellen. Es muss rund um die Uhr betreut werden.
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Gut, dass mir das gesagt wird. Ich werde auch für den Fall, dass ich ihn vergessen sollte, an den Kindsvater erinnert. Er hat in der Schwangerschaft kaum eine Rolle spielen können. Jetzt wird er konsequent in die Kinderbetreuung einbezogen:
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»Sie sollten auch überlegen, ob nicht andere Mitglieder der Familie - z. B. die GroÃeltern -, wenn sie zur Verfügung stehen, einbezogen werden könnten. Vor allen Dingen sollte der junge Vater mithelfen.«
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Nicht dass ich auf die Idee komme, er solle sein Kind betreuen und ich würde ihm dabei helfen â¦
Später wird der Ratgeber richtig zutraulich:
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»Mal ganz ehrlich: Keine Frau kommt als perfekte Mutter auf die
Welt, und kein Mann hat zwei linke Hände, nur wenn es um das Baby geht. Beide, Mutter und Vater, müssen erst lernen, mit dem Kind richtig umzugehen, und gemeinsam schaffen sie es am leichtesten. Das hat sich allerdings noch nicht überall herumgesprochen. Auch bei manchen Müttern noch nicht â¦Â«
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Wenn ich nicht so müde wäre, würde es mich vielleicht empören, dass hier von mir nichts weiter erwartet wird, als perfekt zu werden, während es mein Mann allenfalls zum guten Handlanger bringen soll. Vielleicht wäre ich auch wütend, einen leichten Tadel herauszuhören, wie ich mit meinem Mann umgehe, er aber weitgehend ungeschoren davonkommt. Doch ich merke zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, wie die Daumenschrauben angezogen werden. Ich stecke bis zum Hals in Ãngsten und ich bin müde, sehr müde. Mein Blick ist vernebelt. Und letztendlich stoÃe ich ja hier auf nichts anderes als auf ein uraltes vertrautes Prinzip der traditionellen Familie, das mir jetzt nicht ungewöhnlich auffällt: Eines ist - und das soll ich mir offenbar gut merken - mindestens ebenso empfindsam wie der unschuldige Nachwuchs - und das ist: der Mann. Siehst du, du bist jetzt Die Mutter !
Die perfekte Mutter
StoÃen mir solche Feinheiten in Ratgebern nicht sauer auf, wenn ich ausgeruht bin, ist mit Fug und Recht zu vermuten, dass ich das Idealbild der perfekten Mutter und Ehefrau im traditionellen Sinne, unbewusst oder bewusst, schon prima übernommen habe. Wogegen ja im Prinzip erst einmal nichts zu sagen wäre. Ein Ideal an sich ist etwas Positives. Ich kann nach ihm streben. Ich kann versuchen, über mich hinauszuwachsen. Ich kann einen besseren Menschen aus mir machen. Aber vorher sollte ich mir gründlich überlegen, ob ein erklärtes Ideal mir erstens in seiner Tragweite überhaupt bewusst ist, und zweitens, ob es tatsächlich auch ideal für mich ist und nicht für meine GroÃmutter oder sonstige Vertreterinnen untergehender Kulturen. Und dann wäre es vielleicht
noch ratsam, sich ganz schnell darüber klar zu werden, dass Ideale Wunschgedanken sind. Träume. Holder Schein. Kurz: etwas, das ich nie erreichen kann.
Es ist geradezu absurd - dieser Gedanke scheint für Mutterideale irgendwie verloren gegangen zu sein. Die »gute Mutter« ist ein Synonym für die »perfekte Mutter« geworden. Gut ist nicht gut genug. Perfekt muss es sein. Und es gibt bis ins kleinste Detail in Deutschland präzise Vorstellungen darüber, was perfekt genannt werden darf. Man versuche erst gar nicht, der verstörenden Logik auf den Grund zu gehen, dass nach den gängigen deutschen festen Vorstellungen, wie Mütter zu sein haben und wie sie handeln müssen, jede andere Kultur auÃer der unseren unweigerlich dem Untergang geweiht sein müsste, denn Mütter anderer Kulturen machen es eben anders als wir, und zwar ebenso überzeugt wie wir. Ich kann nur eindringlich davor warnen, darüber
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