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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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Lerntherapeuten zu gehen wie von Anfang an die eingehende Recherche zu betreiben nach weiteren Verbesserungswegen. Denn es gibt die Qual der Wahl. Es gibt keinen vorgeschriebenen Pfad. Nur vorgegebene Ziele. Jeder ist seines Glückes Schmied, oder eben auch nicht.
    Das glückliche Leben eines glücklichen Kindes, ohne Macken und Kanten, ohne Versagensängste und Schwermut, dafür aber erfolgreich, fröhlich und vital, perfekt in die Gesellschaft eingegliedert. Am besten noch ungemein beliebt und überall gern gesehen. Respektiert und akzeptiert und ohne Angst vor den anderen. Der Gedanke ist so verführerisch. Scheitern, Trauer, Angst und Sorgen - wer möchte das noch als natürlich hinnehmen? Wer will sich damit abfinden, dass Macken menschlich sind und Menschen durch Misserfolge und Kummer lernen? Der Erfolg ist so nah.
    In meinem Regal häufen sich die Ratgeber, die ein besseres Leben für mein Kind versprechen. »Es ist alles machbar«, flüstern sie. »Du musst dich nur anstrengen.«

Her mit den Ratgebern!
    Ich bin süchtig nach diesen Büchern, nach den Zeitschriften und Internetforen für Eltern, nach den Broschüren aus dem rosa Pappkoffer. Diese Ratgeber geben alle vor, das Gelbe vom Ei zu präsentieren, doch wissen sie nicht zwangsläufig mehr als die eigene Mutter, denn Bücher darüber, wie eine Mutter ihr Kind am besten zu pflegen und zu erziehen hat, gibt es schon seit mehreren Hundert Jahren und bisher hat offensichtlich keines die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber sie versprechen die goldene Zukunft, die Idylle, den Erfolg, die Karriere meines Kindes, das lebenslange Glück. Sie geben mir das Gefühl, dass ich es schaffen kann, ich muss es nur ganz fest wollen.
    Und machen wir uns nichts vor: Ratgeber sind ungemein
praktisch. All das, was ich bisher in meinem Leben über Babys nie gelernt habe, kann ich hier anschaulich gegliedert nachlesen. Von der perfekt eingerichteten Wickelkommode über Anleitungen zum Füttern und Schlafen bis zum Kurzlehrgang über Kinderkrankheiten und Unfallursachen. Leider bedeutet mehr Wissen nicht unbedingt mehr Seelenruhe. Ich lese entsetzt über Gefahrenpunkte und Risiken, an die ich noch gar nicht gedacht hatte. Gut, dass ich mich informiere! Schlecht, dass mir keiner sagen kann, was ich schon ganz gut mache. Ich starre ständig nur auf das, was ich nicht kann. Mein Fokus ist sehr deutsch, sehr nüchtern, sehr schwer. Das Glas ist immer halb leer, nie halb voll.
    Dafür habe ich niemals unter ungebetenen Ratschlägen zu leiden. Ich kann Rat jederzeit einholen oder risikofrei ablehnen, ganz wie es mir beliebt. Ich bleibe völlig anonym und bewege mich auf absolut sicherem Terrain, denn ob ich mich an die Ratschläge halte oder nicht, merkt meist sowieso keiner. Ich kann kostengünstig die verschiedensten Experten zurate ziehen und flatterhaft von einem zum nächsten wechseln, ohne entdeckt zu werden.
    Schon in der Schwangerschaft konnte ich ja gar nicht genug bekommen von diesen Texten, in denen ich im wahrsten Sinne des Wortes immer der Nabel der Welt war. Jede Regung von mir wurde wichtig genommen - selbst Blähungen, Sodbrennen und eine schwache Blase. Wo konnte ich schon jemals so viel über mich selbst lesen wie in einem Schwangerschaftsratgeber, das meistens auch noch stimmte? Es war oft ein warmes, wohliges Bad der Aufmerksamkeit und zarten Einfühlung.
    Was mir in meiner Hilflosigkeit und Not um das Überleben des Kindes erst entgeht - das Bad ist nach der Geburt des Sprösslings merklich kühler geworden. Als hormonanfällige Wöchnerin erhalte ich zwar noch eine gewisse Schonfrist in puncto Allgemeinzustand, Launen und Schwächeanfälle, doch schon bald ist von meinem Befinden keine Rede mehr. Auf einmal steht nicht mehr mein Wohl im Mittelpunkt der hehren Betrachtungen, sondern das, worum es eigentlich von Anfang an ging - das Wohl meines Kindes. Da dies
offensichtlich stark von meinem Verhalten abhängt, werde ich penibel instruiert, das Ganze harmonisch dekoriert und garniert mit wunderschönen Fotos, die selig lächelnde Babys und immer glückliche Mütter in gebügelten Kleidern zeigen, ganz wie in der Werbung. Nicht selten bekomme ich ein schales Gefühl im Mund, wenn ich den Blick vom Hochglanzfoto auf mein brüllendes Baby fallen lasse. Ich sehe im Spiegel mein blasses, müdes Gesicht, mein zerknautschtes Sweatshirt und die

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