Mutterschuldgefuehl
protokolliert zu finden, erfasst ironischerweise gerade oft die, die es besonders gut machen wollen. Es ist ein bisschen wie in der Schule. Die, die fleiÃig lernen, haben meist den gröÃten Respekt vor Zensuren und Autoritäten, wobei, um bei dem Bild zu bleiben, der Zustand des Kindes das Zeugnis der Eltern begründet. Und bei aller Sorge um das Kind und dem Wunsch, jeder Makel solle entdeckt werden, damit man ihn beheben kann - es ist einfach nicht schön, Angst vor Zensuren zu haben. Da kann man schon mal Schwitzehändchen kriegen.
Was ist eine Hyperbilirubinämie?
Alles beginnt mit dem Apgar-Test gleich nach der Geburt, benannt nach einer Ãrztin. Er ist der erste Test für das Kind auÃerhalb der Gebärmutter. Er sagt zwar nichts aus über den späteren Gesundheitszustand des Kindes, ist aber so schön praktisch. Schnell und einfach können hier Punkte von eins bis zehn für den Zustand des Kindes vergeben werden. Ein selbst ernanntes Babycenter im Internet erklärt die Bedeutung der Punkte für Eltern so schön, dass ich es hier gerne wiedergebe:
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»Eine perfekte Zehn ist Musik in den Ohren stolzer Eltern, aber auch eine Acht oder Neun sind gute Neuigkeiten. (â¦) Mit einem Wert zwischen Fünf und Sieben befindet sich das Neugeborene in angemessenem Zustand und bekommt vielleicht eine Atmungshilfe. (â¦) Neugeborene mit einem Wert unter Fünf sind wahrscheinlich in schlechter Verfassung und benötigen Hilfe. (â¦).«
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Jede weitere Untersuchung bis zur U11 hat zwar keinen Punktestand, aber gehörigen Raum im Heftchen und hat auch ein Feld für »Sonstige Bemerkungen«, wo man Bemerkungen wie »sonniges Gemüt«, »etwas faul«, »Windelsoor« oder »zeitgerecht entwickelt« finden kann, kurz das, was dem Arzt bei der Untersuchung zusammenfassend besonders auffällt. Es halten sich nicht alle an medizinische Fakten. Ich bin sehr froh, dass es solche Heftchen nicht für Erwachsene gibt. Ich habe weder Lust noch Neugier, meine Punktezahl oder etwaige hervorstechende Eigenarten in dieser Form ausgestellt zu sehen. Für Kinder gilt das natürlich nicht. Wir wollen ja alle nur das Beste für die lieben Kleinen. Da fragt man nicht lange und die Frage der Würde und Diskretion ist da nur ein unpassender Aspekt. Vor allem beim Arzt.
Damit auch alle Eltern unabhängig vom Punktestand ihres eigenen Kindes wissen, wie ein normales Kind aussieht, sind dem Kinderuntersuchungsheft praktische Tabellen beigefügt, in denen ich auf Anhieb sehen kann, ob ich mir Sorgen
machen muss, weil mein Kind zu stark vom Durchschnitt abweicht. Diese sogenannten Somatogramme sagen mir, ob mein Kind im Vergleich mit anderen Kindern groÃ, klein, leicht oder schwer ist und wann man von Ãbergewicht oder Untergewicht ausgehen sollte. Wir merken gleich: Reines Augenmaà wäre viel zu grob gehandhabt. Wer weiÃ, ob wir Eltern überhaupt merken würden, wenn unser Kind bedenklich moppeliger, hagerer, riesiger oder winziger ist als die anderen und ob es nicht dann schon zu spät wäre, für was auch immer? Ja, sogar an einen frontooccipitalen Kopfumfang wird gedacht. Je nach Mädchen oder Junge kann ich hier ganz leicht in Diagrammen erkennen, ob der frontooccipitale Kopfumfang normal ist. Was frontooccipital ist? Keine Ahnung, irgendetwas mit Kopfumfang halt. Wer wird denn hier pingelig sein und über die Sprache mäkeln? Dann könnte ich das ganze Heft ja gleich in den Eimer schmeiÃen. Und dann wäre es um diesen schönen »Kennziffernkatalog« und die »Risikonummern zu U1« schade. »Asphyxie«, »Phenylketonurie«, »Hypothyreose«, »Isthmozervikale Insuffizienz« - was für wunderbare Wortgebilde. Im Geiste sehe ich schon meine Mediziner-Freunde wissend lächeln. Dagegen können »Kleinwuchs«, »Schielkrankheit« oder »Harnwegsinfektion« auf Seite 3 kaum mithalten und wirken so schnöde profan. Im Internet in den diversen Foren wird dann auch lustig gefahndet nach den Bedeutungen im Kinderuntersuchungsheft.
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»Hallo an alle. Was bedeutet P97 hinten an der Perzentilkurve?«
Oder:
»Hilfe! Kann mir jemand sagen, was 03 Schwere Hyperbilirubinämie ist? Ich möchte meine Ãrztin nicht anrufen.«
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Und tatsächlich findet sich doch immer wieder jemand, der hier weiterhelfen kann. Ich nehme an, es sind Medizinerinnen in der
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