Mutterschuldgefuehl
besuchen. Wieso, frage ich mich, während im Hintergrund die Vollversammlung rauscht, sind eigentlich nur wir Eltern dran? Versonnen kritzele ich Texte für Werbe-Flyer auf meinen Schreibblock: »Kommen Sie und schneiden Sie Fellbüschel! Retten Sie den Förderverein! Ihre Rente wird es Ihnen danken!«
Es ist nicht so, dass es keinen Spaà machen würde, sich für die Kita zu engagieren. Dass es nicht wichtig wäre oder wünschenswert. Es ist schön, wenn man MuÃe hat, und ist wichtig, wenn man etwas gefunden hat, womit man den Ansprüchen gerecht werden kann. Nur hat man das Kind ja eigentlich nicht nur in der Kita abgegeben, damit es mit anderen Kindern erfolgreich mit Spaà lernt, sondern auch, um sich etwas Luft zu verschaffen. Weià das noch jemand?
Es ist ein bisschen so wie die Einladungen zum Kaffeetrinken mit der betagten Nachbarin. Am Anfang macht es Freude, der alten Dame eine Freude zu machen. Aber wenn sich die gute Dame daran gewöhnt und Ansprüche stellt, ja,
sogar den moralischen Zeigefinger hebt und einen erbost im Treppenhaus abfängt, wenn man nicht auf Wunsch erscheint, dann wird die Sache schnell madig und die Situation etwas gereizt.
Wie bringe ich mich also ein? Da ich keinen Garten umbuddeln will, aber auch keinen Flohmarkt organisieren möchte, keine Ausflüge begleiten will oder in der Küche helfen möchte - ich brauche die vier Stunden vormittags dringend für meine zweite Tochter und meine freiberuflichen Projekte, auch wenn das ganz offensichtlich keinen interessiert -, verfalle ich auf das, was mir am leichtesten fällt: Ich gründe flugs eine Kita-Zeitung. Ein kleines Organ für die Institution meiner Wahl. Die Kindergartenleiterin ist begeistert und endlich, endlich kann ich mit ruhigem Gewissen morgens und mittags in die Kita gehen. Ich muss mich nicht mehr am Büro der Leitung vorbeischleichen oder die Gespräche mit den Erzieherinnen kurz und knackig halten. Ich habe ein Alibi. Ich habe mir einen Freibrief erkauft. Seht her - hier ist eine Mutter, die sich ausreichend zum Wohle aller engagiert. Und ich kann ruhig meiner Wege gehen.
Die Schatten von PISA
Ich hätte vielleicht von nun an ein ruhiges Leben führen können, ich hätte meinen Ãrger vergessen, als Mutter immer und überall gegängelt und in den Schraubstock genommen zu werden und ich hätte brav meinen Zeitungsdienst verrichtet. Ja, vielleicht hätte ich so etwas wie Freude anderer an meiner Arbeit gespürt.
Aber es gab PISA.
Alarmiert durch die verheerenden Ergebnisse der PISA-Studien und ähnlicher Untersuchungen, setzten sich im Jahre 2004 die Jugend- und Kultusminister der 16 Bundesländer zusammen und vereinbarten einen gemeinsamen Rahmen der Bundesländer für die Bildung in deutschen Kindertagesstätten. Jedes Bundesland entwickelte einen eigenen Rahmenplan. Die Pläne sind unterschiedlich im Entstehungszeitraum,
in der Ausrichtung, in der Namensgebung, im Umfang und in der Konkretisierung, aber ihnen allen ist gemeinsam, dass zum ersten Male frühkindliche Bildung ins Augenmerk rückte. Zum ersten Mal wurde offiziell Thema, dass Kinder einen wahren Schatz an angeborenen Kompetenzen besitzen, die es so früh wie möglich zu entwickeln gilt, wenn man gedenkt, den desaströsen Ergebnissen der PISA-Studien entgegenzuwirken, dieser peinlichen Reputation der Bildungsmisere die Stirn zu bieten und die Kompetenzen der Kinder später wirtschaftlich nutzen zu können.
Von da an waren und sind Kindertagesstätten keine Orte mehr, an denen Kinder nur schön spielen können. Sie sind Einrichtungen, die unsere Kinder auf die Anforderungen unserer modernen Gesellschaft vorbereiten und Chancengleichheit unabhängig von Geschlecht, sozialer und ethnischer Herkunft ermöglichen sollen. Sie sollen einen reibungslosen Ãbergang in die Schule garantieren.
Und seitdem ist alles anders. Denn leider gab es bislang nur kräftig erhöhte Ansprüche und Forderungen an die Kindertagesstätten, im Vergleich dazu aber erstaunlich kleine Finanzspritzen, wenig Ausstattung und kein zusätzliches Personal, geschweige denn eine angemessene Entlohnung für den erhöhten Einsatz der Erzieherinnen und des Zweitpersonals. Es ist in etwa so, als würde ich von einer ordentlich geführten Imbissbude erwarten, sich in den nächsten Monaten zu einem Fünf-Sterne-Restaurant zu mausern, ihm aber auÃer ein
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