Muttersoehnchen
Überraschung eine ungewöhnlich klare Grenze auf. Jede weitere lästerliche Äußerung über Gott würde Maik endgültig disqualifizieren: »Wer so schlecht über das christliche Abendland informiert ist wie du, dem steht die These nicht zu, der Papst sei ein Idiot.« Die Ansage hinterließ Eindruck. Maik schien es plötzlich peinlich zu sein, wenn der einzige Lehrer, der auf Mails reagierte und aus dem Stand mit beiden Füßen auf den Tisch springen konnte, an seiner Urteilsfähigkeit zweifelte.
In Mathe und Latein gelangen ihm bei den nächsten Klassenarbeiten die nötige 3, und der Motorradfahrer bekam auch eine. Im nächsten Jahr gab es für Lysa dieselbe Aufgabenstellung. Gut, sie hatte schon einen Prototypen, dennoch fand ich nicht, dass ihr Motorradfahrer nach einer glatten Eins ausgesehen hätte. Noten der sanften Kreativität. Maik zuckte nur noch die Schultern: »Zuhause bin ich immer der zweite und in der Schule der letzte.« In diesem Jahr hatte er ziemlich knapp das Klassenziel erreicht. Er war durch und selbst richtig froh darüber. Ohne Abitur die Schule zu verlassen, erschien ihm doch etwas unheimlich.
In der 10. Klasse strengte sich Maik mehr an und passte sich besser an. Aber er vertiefte auch seine Leidenschaft zur Musik. Sie war die Nische, die er brauchte, um in der Schule zu überleben und mir zu entkommen. Wir erlaubten ihm, das Tonstudio einzurichten. Kaum ausgesprochen, wurde die Abstellkammer schallgedämmt, schleppte
Jannick sein Schlagzeug an, bestellten die beiden von gespartem Geld Verstärker und Mikrophone.
Mehr Tiefgang bringt wenige Wochen später die Aufarbeitung der Kunduz-Affäre in unsere Auseinandersetzung über die Militärfrage. Das Bombardement zweier Tanklastzüge auf deutschen Befehl, bei dem viele Zivilisten umkamen, zeigt, wie komplex die Zusammenhänge sind und wie beliebig ungerecht das Ergebnis sein kann. Plötzlich wird sichtbar, dass es um viel mehr gehen könnte als um die Frage nach Uniform oder Rot-Kreuz-Jacke. Nun wird kein Wehrpflichtiger sofort in die Afghanistan-Schutztruppe geschickt, doch eine einigermaßen differenzierte Haltung zur Sicherheitspolitik ist schon gefragt. Maik informiert sich nun besser über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland.
Schließlich bringt eine Gesetzesänderung die Entscheidung gegen die Wehrpflicht. Die Armee soll von 252.000 auf ungefähr 170.000 Mann verkleinert werden und setzt mit attraktiven Angeboten auf mehr Freiwillige; der Wehrdienst wird abermals verkürzt. Ab dem 1. Juli 2010 hat die Bundeswehr nur noch sechs Monate Verwendung für die Rekruten. Gleichzeitig kündigt sie die vollständige Aufgabe der Wehrpflicht an, ab 2011 wird sie erstmal ausgesetzt. Damit ist die Wehrpflicht nicht aus dem Grundgesetz gestrichen und es bedarf keiner Zweidrittelmehrheit im Bundestag, um sie wiederzubeleben. Männer werden künftig erfasst, aber nicht mehr gemustert. Das, so findet Falk, hat der Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg beachtlich gelöst, juristisch betrachtet. Den Bürger in Uniform wird es nicht mehr geben, die Bundeswehr ihren Bezug in die Gesellschaft verlieren. Kritiker befürchten einen Verstoß gegen die Wehrgerechtigkeit und den leichtfertigen Kriegseinsatz von Berufssoldaten.
Damit hat auch der Zivildienst in seiner jetzigen Form keine Berechtigung mehr, und das trifft das Sozialwesen ganz bitter. Um diesem Dilemma zu entgehen, müsste man eine allgemeine Dienstpflicht einführen, die aber eine Verfassungsänderung voraussetzt, denn Artikel 12 des Grundgesetzes verbietet Zwangsarbeit. Was bleibt, ist die Idee eines Bundessozialdienstes auf freiwilliger Basis.
Für ein halbes Jahr lohnt der Streit nicht, finden wir alle in der Familie, zumal der Zivildienst gleichzeitig auch auf sechs Monate gekürzt
wird und damit erstmals nicht länger als der Wehrdienst dauert. Die von mir so heiß ersehnte Auseinandersetzung mit männlicher Autorität ist in dieser Frist nicht nachhaltig zu realisieren, und die Zeit ist auch zu kurz, um die Tonstudio-Idee zu versenken. Maik grübelt Stunde um Stunde und entscheidet sich binnen Minuten für den Zivildienst, als er hört, dass der Stadtjugendring für das Haus der Jugend einen Zivi sucht, der ihnen die Tontechnik auf Vordermann bringt, die sie für ihre Veranstaltungen brauchen. So wird mein Sohn zum Wehrdienstverweigerer.
In der Schule verdankten wir es einer anderen Gesetzesänderung, dass Maik unerwartet komfortabel in die Oberstufe aufrückte. Die
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