Muttersoehnchen
ich bei unserem Sohn Probleme mit mangelnder Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung sähe, sagt er noch, müssten wir an anderer Stelle mal darüber reden. Das sei jedenfalls kein vernünftiges Argument für das Militär: »Da saufen sie nur aus lauter Langeweile.«
Ich habe mit Maiks fehlenden Sekundärtugenden schon länger ein Problem. Und mit seiner Männlichkeit, aber das sage ich besser nicht laut. Für mein Projekt Erprobungsstufe Bundeswehr habe ich keinen einzigen willigen Zuhörer und damit es nicht in Gefahr gerät, darf ich meine Fehler aus Maiks schwieriger Schulzeit nicht wiederholen. Dort habe ich gewonnen und ihm geschadet.
In der Erprobungsstufe 5 und 6 des Gymnasiums geriet Maiks Schullaufbahn das erste Mal in große Gefahr. Die Suche nach dem Spaß am Lernen gestaltete sich immer schwieriger. Wenn die Englischlehrerin sagte: Schaut euch die Vokabeln an, schaute er sich die Vokabeln an und schrieb im Test eine fünf, weil ihm nicht klar war, dass er es hätte richtig lernen sollen. Wenn unter der Mathearbeit
»Ausreichend« stand, verstand er nicht, warum das nicht ausreichen sollte. Und wenn Hausaufgaben nicht kontrolliert wurden, musste man sie auch nicht machen. Das war seine Logik.
Das zusätzliche Programm Lernen lernen , für das wir ein Anleitungsbuch anschaffen mussten, fand kommentarlos sein Ende, weil die Lehrerin sonst ihr Pensum nicht geschafft hätte. Maik zeigte sich solidarisch mit ihr und unterbrach die Organisation seines Arbeitsplatzes. Im Sport sollte er Rücksicht nehmen auf die Mädchen, denen der Medizinball hätte wehtun können. Das kam ihm doch gleich bekannt vor, und mir auch. Mein Junge sollte mit dem Softball spielen und mit Tüchern tanzen. All das wurde ihm in einem freundlich-partnerschaftlichen Ton nahegebracht, so nett, dass man einfach nichts dagegen einwenden konnte. Und Maik verlief sich immer mehr im Friendly Fire. Er wartete auf Regeln und bekam Möglichkeiten. Er suchte Autoritäten und fand Partner. Nur mit einem kräftigen Gegenkurs daheim, der allen Idealen widersprach und unser Verhältnis dauerhaft belastete, überstand Maik die Erprobungsstufe und kam in Klasse 7.
Nach der Erprobungszeit trug auch das Gymnasium einen Teil der Verantwortung für ihre Schüler, was ganz schön war, weil sie kaum jemanden hängen ließen, den sie gerade noch durchgewunken hatten. Was aber obsolet wurde, sobald ein Lehrkörper auf die Pubertät hinwies. Die Klassen 7 bis 10 wurden deshalb noch anstrengender für alle Beteiligten. Maik verweigerte sich zunehmend gegen den ganzen Mist. In Geschichte interessierte ihn der Alltag und die Wohnumstände früherer Völker nicht, er wollte wissen, wer welche Schlacht gewonnen hatte und warum. In Kunst bastelte und malte er um sein Leben und schaffte es doch immer nur mit Ach und Krach auf eine 3-. Es gab keine handwerklichen Anleitungen, sondern einen Kreativbefehl. In Deutsch langweilten ihn die Mädchengeschichten ohne Mut und Abenteuerlust und frustrierte ihn die Rechtschreibung, weil er sie dank weniger Diktate und Verzicht auf schnödes Büffeln nicht sicher beherrschte. Der Unterrichtsstoff war weiblich codiert: Er setzte auf Beziehungen statt auf Ereignisse. Die weiblichen Bezugspersonen hatten über die Jahrzehnte geschafft, ihre Wahrnehmung zum Maßstab zu machen.
Maik wurde faul. Seine Faulheit sorgte dafür, dass er in Mathe nicht mehr durchblickte und in Latein den Anschluss verpasste. Aber
er war nicht nur einfach faul, sondern auch hochgradig irritiert durch die Frage aller Pubertätsfragen: Wie angesagt bin ich eigentlich? Das haben wir uns alle mal gefragt, doch in seiner Generation wurde sie noch angeheizt durch das erste Instant Messaging Programm, durch ICQ, das AOL gratis zum Download bereithielt. Es lief auf jedem Betriebssystem und stürzte nie ab. Das war schon etwas Besonderes.
Pünktlich zu Maiks Peergroup-Reife und noch bevor sich überhaupt jemand vorstellen konnte, was ein soziales Netzwerk zukünftig alles können würde, infizierte ICQ jeden Rechner. Von uns Alten wusste niemand, was die drei Buchstaben bedeuten, aber das störte uns nicht, solange wir glauben durften, dass die Schüler ihre neue Plattform für den Austausch von Hausaufgaben nutzen. ICQ steht für I seek you – ich suche Dich – und passte in die Zeit, in der es chic war, Großbuchstaben oder Zahlen als Chiffre zu verwenden und wo auch Befindlichkeiten und Liebkosungen ihre Kürzel fanden. Auf Englisch oder Deutsch wurde
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