Muttersoehnchen
führte, wenn sie denn dort ein anderes Lernverhalten an den Tag legten als zuvor im Gymnasium. Maik sah, dass seine Ex-Kollegen jetzt den ganzen Tag über beschäftigt waren. Mit so geringer Stundenzahl wie in seinem Stundenplan kam man nur auf dem Gymnasium zum Abi. Das war Ansporn genug, sich nicht abhängen zu lassen. Aber es reichte nicht, um für das Leben zu lernen.
Maik lernte immer noch für mich. Mir sollte das recht sein, wenn er es denn überhaupt tat. Hinter jedem guten Manager steht eine Frau, hinter jedem guten Schüler eine Mutter. Das geben mittlerweile selbst die Lehrer zu und widersprechen auch nicht der Annahme, dass mit Schüler vornehmlich der männliche gemeint ist.
Mit dem Einzug in die Oberstufe endete auch die gesetzliche Schulpflicht. Maik konnte nun jederzeit gehen, und außer seiner Mutter würde ihn niemand aufzuhalten versuchen. Auch sein Vater nicht, denn der verließ sich auf meine Terrierqualitäten und verstand es besser als ich, Druck rauszunehmen, bevor der Ballon platzte. Sich ständig gegen eine grundsätzlich andere Vorgehensweise aufzulehnen, hielt er ohnehin für Energieverschwendung. »Das bringt doch sowieso nichts«, bemerkte er mehr als einmal. So gesehen verhielt sich Rolf wie die bessere Mutter im kaukasischen Kreidekreis. Er ließ immer zuerst los. Wenn ich sagte: »Sag du doch auch mal was«, dann sagte mein Mann: »Es ist alles schon gesagt.« Zu meinem Ärger hielt er diese Verweigerungshaltung konsequent durch. Zu unserem Glück wollte Maik die Schule gar nicht verlassen, er wollte bleiben. So herrschte in der Familie traute Einigkeit darüber, dass wir die Nummer jetzt durchziehen würden.
Das Ende der Schulpflicht entspannte auch die Lehrerschaft sichtlich. Welcher Schüler jetzt weitermachte, der tat es auf eigene Verantwortung und auf eigene Gefahr. Und hoffentlich mit der wachsenden Einsicht, dass die Investition in Bildung immer das Beste war und nie groß genug sein konnte. Der Unterricht im Gymnasium wurde jetzt ganz offiziell zum freiwilligen Angebot, allerdings mit Anwesenheitspflicht.
Und das war ein Problem, denn die nun meist volljährigen Schüler genehmigten sich ihre Freistunden selbst. »Es wäre schön, Sie könnten ihre Kinder motivieren, morgens aufzustehen und den Bus in unsere Richtung zu nehmen», formulierte es der Stufenleiter im ersten Treffen, das auch gleichzeitig das letzte war. Die erste und zweite Stunde sind schlecht besucht, zur dritten wird es besser.
Die Schule leistete ihren Beitrag, um die flüchtigen Teilnehmer wieder einzufangen, und hatte ein komplexes Entschuldigungssystem eingeführt. Es gab Laufzettel, die ein Schüler von jedem Lehrer, in dessen Stunde er gefehlt hatte, binnen einer Woche abzeichnen lassen musste. Geschah das nicht, hatte der Schüler unentschuldigt gefehlt. Und unentschuldigte Fehlstunden führten schnell dazu, dass die Teilnahme am Kurs nicht benotet werden konnte. Wer sich
öfter mal krank meldete, hatte ein Attest vorzulegen. Wo einst auf Einsicht und Partnerschaft gesetzt wurde, wurde nun kontrolliert. Die Schule bat die Eltern um Mitwirkung, aber unsere Macht war jetzt auch zu Ende.
Die Garantie ist abgelaufen, es geht nur noch über Kulanz. Ausgerechnet in Maiks Lieblingsfach Musik muss ich zwei Tage vor Ferienbeginn stellvertretend für meinen volljährigen Sohn zum Lehrerbesuch antreten. Maik ist der einzige aus der Stufe, der Musik als mündliches Abiturfach gewählt hat. Damit hat er der Schule ein Problem beschert. Was nur einer will, ist kein Kurs. Und so ein Alleingang bedeutet vermehrt Arbeit für die Lehrerin, aber das belastet meinen Sohn nicht, ihn interessiert nur seine letzte Arbeit, die er als ungerecht bewertet empfindet. Er versteht nicht, warum es nur sieben Punkte geworden sind.
Maik ist stinksauer und will sich mal so richtig beschweren. Angesichts seiner übersichtlichen Gesamtleistungen rate ich von dieser späten Revolte dringend ab: »Außer kleinen Brötchen solltest du jetzt gar nichts mehr backen.« Ich schlage ein klärendes Gespräch mit Frau Schmidt-Hahn vor. Widerwillig stimmt er zu, das näher rückende Abitur macht den Burschen kleinlaut, aber seine Enttäuschung ist nicht zu übersehen. Er hat deutlich mehr Streithilfe von mir erwartet.
Seine Bindestrich-Lehrerin hat Mittwoch vierte Stunde angeboten. Leider kann Maik da nicht, denn da schreibt er Mathe. Nein, tut mir leid, eine Alternative gebe es nicht, meint die Dame, das sei nun mal ihre einzige
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