Muttersoehnchen
Alkopops schoss Maik sich mehrfach ab, und mittels Shisha, der fruchtig-süßen Wasserpfeife aus Arabien, suchte er nach einer besseren Welt, selbst als die Erinnerung an Nora schon verblasst war. Mit hilflosen Appellen schafften Polizei und Gesundheitsministerium es nicht, gegenzusteuern. Erst eine saftige Steuererhöhung auf die Brause mit Umdrehungen bremste den Absatz leidlich, und ich begriff allmählich, dass die Kinder der Babyboomer schon sehr kräftig auf die Pauke hauen mussten, um sich von ihrer dynamisch-liberalen Elternelite abzusetzen.
Maik kann sich nun bald richtig absetzen: Endlich meldet sich die Auslandsorganisation. Eine junge Frau ruft an und möchte Maik sprechen. Eigentlich könnte sie auch mit mir alles klären, finde ich, gebe den Telefonhörer aber widerstrebend weiter. Ich höre meinen Sohn nur Mhmh sagen, zwischendurch kurzes Lachen und wieder Mhmh, oke. Fragen stellt er nicht, aber ich frage ihn Löcher in den Bauch, um überhaupt etwas zu erfahren. Er kann einen Zivildienstplatz in Irland bekommen, in Galway, einer 70.000-Einwohner-Stadt an der Westküste, also kurz vor Amerika. Seine Aufgabe wird es sein, Homeless People zu betreuen.
Maik zögert nicht. Dabei hätte er jetzt noch problemlos absagen können, sogar ohne Ausreden. Er hätte einfach »Nein, danke« sagen können. Aber er sagte: »Oke.« So unspektakulär sieht es also aus, wenn mein Musicboy eine große Entscheidung trifft. Jetzt muss nur ich noch damit klarkommen.
Bei Matthias erkundige ich mich nach seinen Magenschmerzen. Ein Vorwand, um ihn anzurufen und herauszufinden, ob auf Lorelei_78 schon eine andere gefolgt ist. Er hat Kontakt zu einer Principessa , verrät er mir arglos, aber mit dieser Kandidatin gab es noch kein Date. Sie ist noch im Rennen und er am Ball. Doch sein Bericht klingt nicht lustvoll. Mein Freund zeigt alle Anzeichen degenerativen Jagdverhaltens. Wie ein Kater, der das Mausen nicht lässt. Als sei das seine Bestimmung und er es der Gesellschaft schuldig.
Männer wie Matthias sind längst auf dem Rückzug. Sie versprechen einer Frau gar nichts mehr und wollen auf keinen Fall noch an irgendetwas arbeiten. Sie wollen nicht mehr reden und nicht mehr erfahren, was sie beitragen können, damit es besser laufen kann. Entweder es läuft oder Auf Wiedersehen. Sie wollen eine Frau nicht mehr bedienen, sondern sich nur noch an ihr bedienen. Das will ich ja in dem Fall auch. Kleine Exkursionen, die das Weib in mir versorgen und meinen Gefühlshaushalt stabilisieren. Jetzt, da meine attraktiven Jahre knapp werden. Für die kleinen Lücken im Lebenslauf daheim habe ich ja mit meinen Alibi-Freundschaften vorgesorgt. Erotik ohne Romantik könnte gut in meine Familiensituation passen. Und ob es zu mir passt, sollte ich rausfinden.
Ich bin schlau genug, mich beim Mann für die alternative Lust anders aufzustellen als seine Internetschnecken. Ich bin eine Vertraute, hoffentlich bald auf mehreren Ebenen. Auf die Frage nach den Bauchschmerzen weicht er aus: »Kein Thema mehr.« Ich beschließe, ihn übergangsweise zu adoptieren. Jetzt, da Maik sich entfernt, habe ich Kapazitäten frei und vereinbare ohne Mandat für Matthias K. einen Termin zur Magen-Darm-Spiegelung. Ein Indianer kennt keinen Schmerz, braucht aber auch Freunde. Und die Tapfersten der Tapferen sterben, weil niemand auf sie aufpasst.
Kranke und Krankheiten kann ich gut ertragen, seitdem ich selbst Mutter bin. Ohne die Erfahrung der Geburt, bei der es nicht appetitlich zuging, und ohne die klaglose Aufopferung, wenn es einem der Zwerge schlecht ging, wäre ich wohl nie aus dem aseptischen Raum herausgetreten. Meine Ekelschwelle sank und mein Fürsorgebedürfnis wuchs. Ich war zuständig für Heftpflaster und
Hühnersuppe, dabei selbst überrascht, wie gut mir das gefiel. Und ich begeisterte mich auch für Bohrhammer und Spreizdübel, aber was ich annahm, konnte ich nicht wieder abgeben. Und alles zusammen wurde mir zuviel.
In jungen Jahren hatte ich panische Angst, mir etwas zu holen. In meine wilde Zeit Anfang der 80er fiel die Sorge, durch Aids infiziert zu werden. Die Bildzeitung warnte als erste vor der Liebesseuche, und weil wir prinzipiell gegen dieses Hetzblatt waren, beschlossen wir, es nicht zu glauben. Aber innerlich waren wir doch etwas beunruhigt. Maik und Lysa war das Thema auch präsent, sie hatten bereits davon gehört, noch bevor sie überhaupt richtig aufgeklärt waren. Die Angst trübte ihrer beider Neugier noch mehr ein als die
Weitere Kostenlose Bücher