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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Fink
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nicht so bescheuert aussehen wie die. Nie wäre ich nach Vollendung meines 13. Lebensjahres darauf gekommen, meine Mutter zu fragen, ob ich mal ihre Bluse tragen dürfte. Selbst keine ihrer Handtaschen wollte ich haben. Aber Lysa gefielen meine Sachen. Einmal kauften wir unabhängig voneinander eine Hose, die exakt denselben Schnitt und fast die gleiche Farbe hatte. Da dämmerte mir, dass in der Mode nicht sie mir, sondern ich ihr folgte. Meine Hose war girlielike wie ihre, nur deutlich teurer. Ich habe die Hose nur einmal getragen, in der Woche als Lysa auf Klassenfahrt war. Ich spürte, dass ich neben ihr nicht bestehen können würde, aber zum Umtausch reichte meine Einsicht nicht.

    Seinerzeit wollte ich auf dem Sprung in die Erwachsenenwelt nicht mehr niedlich sein, ich bin es am ersten Schultag und bei meiner Kommunion gewesen und war stolz, als ich dem entwuchs. Ich hatte mich in Anzüge gezwängt, als ich die Fernsehsender erobern wollte, um mich nicht dem Verdacht auszusetzen, ich setzte auf meine Weiblichkeit. Jetzt will ich sie unbedingt zeigen, bevor es dafür zu spät ist, und sehe aus wie eine Absolventin der Hello-Kitty-Akademie.
    »Fehlt nur noch diese unerträglich hohe Stimme, wie bei unserer neuen Praktikantin«, stichelte mein Bruder Falk. Sie überzuckerte das ganze Büro mit ihrer Niedlichkeit und das freute ihn nicht, sondern regte ihn fürchterlich auf. Am Anfang fand er es
sehr entspannend, nicht auf Widerworte zu treffen oder über die Niederungen von Kaffeeholen und Kopiergängen diskutieren zu müssen, wogegen er sich früher selbst aufgemäntelt hatte. Sehr bald aber ging ihm die wohlgefällige Angepasstheit gegen den Strich. Dieses putzige Mädchen mit Einser-Abitur gefiel sich in ihrer Gefälligkeit und verweigerte sich jedem Kampf, vor allem mit den Männern. Sie hatte schnell raus, zu wem sie freundlich und zu wem sie noch freundlicher sein musste. Sie war gekleidet wie Alice im Wunderland, mit schicklichem Rock und feiner Bluse. Die Haare band sie meist bürotauglich zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie war klug, sie war lieb und sie war schön: für jeden Mann die perfekte Frau. Das würde sie nach oben führen, nicht die Auseinandersetzung.
    »Vor Rehen wird gewarnt«, sagte Falk. Hinter der Putzigkeit stecke nur Kalkül. Das will ich für Lysa natürlich nicht. Ich reagierte schrill, als ich ihre Lolita-Fotos auf Facebook sah: »Sofort löschen!« Lysa war irritiert, weil ich verbot, was alle anderen Mädchen auch machten. Und ich war erschrocken, nicht nur wegen ihres Auftritts. Ich konnte schon zugeben, dass ich sie am liebsten im braven Faltenrock mit unschuldig weißer Bluse sah. Aber ich erschrak, weil ich mich für locker und aufgeklärt hielt und deshalb dachte, Lysa sei für solch eine Darstellung nicht anfällig. Nun krawallte ich wie eine spießige Mutterkuh. Die Kluft zur Realität schien mir unerträglich.
    Ihren Zwang zur Sexyness hatte sich Lysa freiwillig auferlegt, und deshalb war er nicht zu stoppen, nicht zu toppen. Die dialektische Kehrseite der Möglichkeit, schön sein zu können, wurde zur ständigen Verpflichtung: Sei schön! ist der Imperativ des Spätkapitalismus, dem sich auch ihr Bruder Maik beugte, der irgendwann noch mehr Körperpflege betrieb als seine Schwester.
    Piercing und Tattoo hatte ich gerade noch mit großem Getöse verhindern können. Den Digitalkameras konnte ich nichts entgegensetzen. Sie waren schuld, dass sich mein Junge wie mein Mädchen die Haare gelen und überall rasieren mussten, um allzeit aufnahmebereit zu sein, für Facebook und anderswo. Es war auch ihr ironischer Gruß an die eitelsteifen Eltern, die jeden Schritt von klein auf abgefilmt hatten. Nichts entzückte uns mehr als unser niedliches
Abbild. Dass es technisch immer einfacher und mit wachsender Speicherkapazität immer verführerischer wurde, jeden Atemzug mit einem JPEG zu dokumentieren, animierte erst uns, dann sie zu ungezügelter Knipserei und gehörte in die Rubrik: Machen, was machbar ist. Bis zur Volljährigkeit hatten unsere Kinder über 5.000 Bilder von sich gesehen. Sie wussten um ihre Wirkung und bald auch, wie die sich steigern ließ.
    Als ich mich wegen des Facebook-Profils meiner Tochter etwas beruhigt hatte, musste ich neidvoll anerkennen, dass die Bilder richtig gut gemacht waren. Sie erinnerten an MTV-Videoclips und symbolisierten eine neue Ästhetik der Beiläufigkeit, von der angestrengten Mühe der Komposition war nichts zu ahnen. Lysas Posen wirkten

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