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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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willkommenes Ereignis des Wetters. Es hatte ein wenig geschneit. Gerade so viel, dass die Wälder weiß geschmückt erschienen. Und die Sonne schien ins frisch Verschneite, als wolle sie das Ihre dazu beitragen, Percys Pilgerweg durch den Winterwald schön zu machen. Es ging steil und eng bergauf. Percy stellte sich vor, wie Mutter Fini mit ihrem Vater hier hinaufgegangen war. Der Pfarrer Anton ließ sein fröhliches Mundwerk, so steil der Weg auch war, die ganze Welschenberggeschichte aufsagen. Percy sollte auf die Ruinen vorbereitet sein. Nach 1811, von Stuttgart verordnet, der Abbruch der Wallfahrtskirche. Die Bevölkerung wehrt sich nicht, fängt dann aber doch wieder an, auf den Welschenberg zu pilgern.
    Einmal fragte der Pfarrer, über was Anton Percy droben zu den Leuten sprechen wolle.
    Percy: Woher soll ich das wissen.
    Der Pfarrer sagte, jetzt freue er sich. Warum, werde er Anton Percy erst nachher sagen, wenn alles vorbei sei.
    Dann droben, gleich im ehemaligen Kirchenraum, jetzt noch spürbar durch die gewaltigen Mauern. An die Ruinen des früheren Chorraums waren eine Kapelle und ein Turm gebaut worden. Da fand sich dann Percy, von Pfarrer Anton sanft geleitet. Es war nur eine Nische, in der ein Altar wartete. Der Pfarrer zündete ein paar Kerzen an. Vor dieser überdachten Kapellennische stieg das Gelände gleich wieder an. An diesem Hang gab es im weiten Halbkreis Bänke, auf denen schon Leute Platz genommen hatten.
    Der Pfarrherr gab zu, dass er Percys Besuch am vergangenen Sonntag in der Kirche angekündigt hatte. Und als beichte er eine Sünde, sagte er, dass er gesagt habe: Der vom Fernsehen bekannte Percy Schlugen.
    Wie der Pfarrer ihn in diese Nische, zu diesem Altar geleitet hatte, erlebte Percy wieder als eine seelenschonende Rücksicht. Percy sollte selber entdecken, dass er an einer geweihten Stelle stand. Den Schritt hinaus aus der Kapelle tat er also nicht. Er hatte noch nie von einer geweihten Stelle aus zu Leuten gesprochen.
    Pfarrer Anton begrüßte die Leute ganz fröhlich. Dass er überhaupt ein fröhlicher Mensch war, der sich von einer Begeisterung in die nächste tragen ließ, hatte Percy schon am Abend zuvor erlebt. Und er war jetzt vor den Leuten, den Pilgern, kein bisschen anders als im Pfarrhaus. Pfarrer Anton sagte zu den Leuten, das sei doch ein glücklicher Tag heute. So ein Wetter, so ein Sonntag, so ein Besuch, und ihr, liebe Leute, jeder und jede von euch, ein Glücksfall für mich. Dass ihr heute hier heraufgekommen seid, ist der Rede wert. Den Segen nachher, zuerst, glaube ich, ergreift Anton Percy, unser Gast, das Wort. Anton, sei so gut.
    Percy stand, sah hinaus und hinauf zu den Leuten und sagte:
    Lass mich nicht allein.
    Liebe Leute.
    Maria Hilf hat die Kirche geheißen. Meine Mutter hat in diesen Ruinen mehr als eine Predigt gehört. Ich bin kein Prediger, ich sage, was ich jetzt am liebsten sagen möchte: Lass mich nicht allein. Zu wem sag’ ich das?
    Pfarrer Anton spricht euch an. Der kann das. Der kann sich das leisten. Ich spreche euch nicht an. Ich sage zu euch nicht: Lasst mich nicht allein. Lass mich nicht allein, sag’ ich. Als gebe es jemanden, der mich hört.
    Lass mich nicht allein. So schaff’ ich mir ein Gegenüber. Das nicht da ist. Das es aber gibt. Sonst könnte ich doch nicht sagen: Lass mich nicht allein. Wir sagen etwas, und dadurch machen wir etwas. Ich sage diesen Satz heute zum ersten Mal. Es ist ein bittender Satz, kein befehlender. Lass mich nicht allein. Wir hören das Bittende, das Flehende. Und wenn ich ihn sage, dann spüre ich, dass ich dazugehöre, zu denen, die nicht alleingelassen werden wollen. Aber ich bin ja schon alleingelassen, sonst hätte ich den Satz nicht sagen können. Es herrscht ein Mangel. Oh, Maria, hilf. Hier, an der Kapellenwand, die Danksagungstäfelchen für die erlebte Hilfe. Das waren noch Zeiten. Lass mich nicht allein. Ich sag’ es eher zu Maria als zu Gott. Gott ist keine Adresse. Hat keine Adresse. Maria hat ein Gesicht.
    Ich kann immer noch an Sätze glauben, die nichts bringen. Meine Mutter, die als Kind dreimal mit ihrem frommen Vater hier auf dem Welschenberg war, meine Mutter hat mir mehr als einmal den Satz gesagt, den ihr Vater gesagt hat angesichts dieser Ruinen: Die Ruinen der Zukunft. Hat er gesagt. So mutlos war er schon. Ich habe einen Traum gehabt. Von einem Rothkehlchen. Dazugesagt: Wo immer ich länger als zwei Wochen gewohnt habe, hat sich immer ein Rothkehlchen um mich gekümmert. Wenn ich

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