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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ins dichter werdende Schneetreiben: Man wird doch noch psalmodieren dürfen, oder!
    Pfarrer Anton, jetzt wieder neben ihm, sagte: Jetzt und immerdar.
    Und Percy: Ich könnte jetzt ohne weiteres in die Luft marschieren. Ab nach oben. Lieben macht leicht.
    Der Pfarrer: Kyrie eleison.
     
    Percy sagte:
    Ich steige um auf die Eisscholle und zünde ein Feuerchen an.
    Dann sink’ ich mit gefalteten Händen ins eisige Wasser.
    Und hoffe, dass sich die gefalteten Hände nicht zuletzt noch zu Fäusten ballen.
    Der Pfarrer: Kyrie eleison.
     
    Percy:
    Silberne Züge fahren durch meinen Kopf, als wär’ ich der Himmel,
    aber weil ich’s nicht bin, stoßen sie zusammen, in tausend Stücke zerspringt mein Kopf.
    Der Pfarrer: Kyrie eleison.
     
    Percy:
    Der Schnee ist nicht ernst gemeint. Flocken zählen, eine schöne Pflicht.
    Den Tannen zuhören, wie sie schweigen.
    Alles so sagen, als meinte ich es nicht.
    Das wäre meine Kunst.
    Es gäbe eine Teilnahme durch Wörter.
    Der Pfarrer: Kyrie eleison.
     
    Percy:
    Ich verjuble alle Jahre, alle Zeit.
    Ich baue Leichtigkeit an wie andere Mais
    und dünge sie mit Himmelslicht.
    Ich hebe ab, um abzustürzen,
    irre aufwärts in die Welt, zugeklebt
    die Augen mit Schmetterlingsflügeln.
    Ich bin eine prima Konstruktion.
    Produziert ihr Kälte.
    Ich produzier’ Wärme.
    Der Pfarrer: Kyrie eleison.
     
    Percy:
    Ich bin nicht gegen die exzentrische Erlösung.
    Erlösung ist eine Sportart. Mit Gesang.
    Mir entspringen Töne. Die reichen hoch hinauf.
    Ich klettere ihnen nach in den Himmel.
    Der Pfarrer: Aber setze dich nicht zur Rechten des Vaters. Bleib beweglich.
     
    Percy:
    Jeder ist ein Schrei, der keine Ohren findet.
    Allen entkomm’ ich. Mir nicht.
    Meine Seele glüht eisig vor Unsterblichkeit.
    Der Pfarrer: Kyrie eleison.
     
    Vom Sturm gejagt, stiebte der Schnee jetzt vorbei, als dürfe er nirgends bleiben. Und dunkel war es auch. Percy drehte sich zu Pfarrer Anton und sagte: Anton, du bist der reinste Heilige.
    Und der Pfarrer: Ein Seliger würde mir reichen.
    In diesem Augenblick ein Scheinwerferlicht vom Hang her ins Schneetreiben. Und überlaut eine Musik. Und eine Tenorstimme. Die sang:
     
    Nie sollst du mich befragen,
    noch Wissens Sorge tragen,
    woher ich kam der Fahrt,
    noch wie mein Nam’ und Art!
     
    Und eine Frauenstimme:
    Nie, Herr, soll mir die Frage kommen.
     
    Die Männerstimme:
    Elsa! Hast du mich wohl vernommen?
    Nie sollst du mich befragen,
    noch Wissens Sorge tragen,
    woher ich kam der Fahrt,
    noch wie mein’ Nam und Art!
     
    Da waren sie schon droben bei dem Auto. Da standen Fred, Sepp Murr und Nikolaus Angerpointner. Fred blendete die Musik aus. Dann entschuldigte er sich. Wir hätten, sagte er, uns weder gemeldet noch aufgedrängt, wenn das Wetter uns nicht befohlen hätte, zu deiner, zu eurer Rettung einzuschreiten. Ihr wärt hier heroben verloren. Wir wären es auch, ohne den Vierradantrieb.
    Dann eine spannende Fahrt hinab. Alle stumm, Nikolaus beobachtend, wie er es vermied, vom schmalen, oft schon nicht mehr wahrnehmbaren Weg abzurutschen und irgendeinen Hang hinunterzustürzen.
    Drunten im Pfarrhaus. Pfarrer Anton tischte auf.
    Percy sagte: Wie machst du das bloß!
    Der Pfarrer: Ein bisschen Wunder darf schon sein.
    Zum Abschied sagte Percy: Aber jetzt will ich euch nicht mehr sehen.
    Und Fred lachend: Es sei, du brauchst uns.
    Alle wünschten einander schöne Weihnachten, ein frohes Fest. Als die draußen waren, sagte Percy: Anton, bei dir könnt’ ich bleiben.
    Der Pfarrer: Du kannst.
    Percy, erst nach einer Pause: Ich kann nicht.
    Der Pfarrer: Schade. Ich hätte aus dir einen guten Vikar gemacht. Er selber sei, fügte er noch hinzu, auch ein Spätberufener.
    Percy sagte: Hast du die Frau gesehen, mittags, die Farbige, auf der Bank, vor der Wirtschaft, in der Sonne, sie hatte viel zu wenig an, für so viel Fleisch, und im Winter, sitzt da auf der Bank, am rechten Knie den Kampfhund. Und weint.
    Der Pfarrer: Es herrscht ein furchtbarer Mangel.
    Und Percy: Kyrie eleison.
    Der Pfarrer: Ich habe dich gefragt, über was du droben sprechen würdest. Dass du es nicht gewusst hast, hat mir gutgetan. Kennst du, wie der Evangelist Markus das ausgedrückt hat?
    Ich bin wild darauf, es von dir zu erfahren, sagte Percy.
    Und Pfarrer Anton griff ins Regal, schlug ein Buch auf und sagte: Nach Luther, Markus 13, 11. Wenn sie euch nun führen und überantworten werden, so sorget nicht, was ihr reden sollt, und bedenkt euch nicht zuvor, sondern was euch zu

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