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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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nicht, dass sie eine ist.
    Du bist der Richtige, schrieb sie.
    Sonst noch was, schrieb er.
    Nebensachen unerwünscht, schrieb sie.
    Weil Du die Hauptsache bist, schrieb er.
    Tu nicht so, Du weißt genau, dass Du die Hauptsache bist, schrieb sie.
    Die Hauptsache, schrieb Hugo, das hat sich jetzt herausgestellt, sind wir, Du und ich.
    So ging es zu zwischen den beiden. Die Mutter kam nicht mehr mit. Es ging ihr ohnehin jeden Tag schlechter, und eines Morgens schaute sie, als Fini sie, wie immer, zart wecken wollte, mit starrem Blick an Fini vorbei. Sie war tot.
    Zu der Beerdigung in Gellnau kamen alle Geschwister. Fini hatte sich aus einem alten schwarzen Kostüm ihrer Meisterin ein fast freches schwarzes Kostümchen gemacht. Sie taillierte die Jacke extrem und passpoilierte sie mit einem gleißenden Seidensaum. Ihre Brüder merkten nichts, aber ihre Schwestern waren neidisch. Nur die Zweitjüngste, Agathe, die in München in einem Hotel arbeitete und sich nebenher auf das Abitur vorbereitete, war zu Fini so lieb wie Fini zu ihr. Dem großen, groben Berthold trug Fini den grausamen Satz, den er über die Mutter gesagt hatte, nicht nach. Als der Pfarrer in seiner Grabrede den früh verstorbenen Mann der Mutter erwähnte, wurde seine Rede interessanter. Der Schlugenbauer sei ein Mann, ein Christ aus dem edelsten Holz gewesen.
    Da kam die Stunde zurück, sie am Bett des kranken Vaters, nur noch sie wollte er bei sich haben, seine Frau nicht, keines der Geschwister, nur Fini, seine Jüngste.
    Du schaffst es, hat er gesagt. Das musste sie mehr von seinen Lippen ablesen, als dass es noch zu hören war. Der Brief, hatte er noch gesagt, in der Kammer.
    Sie war fünfzehn gewesen. Dass ihr Vater sterben würde, war immer unvorstellbar gewesen. Jetzt sah er schlimm aus. Der Schweiß lief ihm durchs verwüstete Gesicht.
    Du schaffst es, hatte er gesagt. Das hatte er doch gesagt. Und einen Brief hatte er erwähnt. Die Mutter, die wusste, dass der Hof, wenn sie nicht ununterbrochen das noch Brauchbare vom Überflüssigen schiede, in Kürze im Unrat versinken würde, hatte nach dem Tod des Vaters alles, was nicht mehr wichtig war, verbrannt. Wichtig waren nur Rechnungen, bezahlte und unbezahlte.
    Fini war sofort nach den auffallend gut bestandenen Prüfungen nach Stuttgart gezogen, hatte in Stuttgart-Wangen bei einem Rentner-Ehepaar ein Zimmer gefunden, das Zimmer eines tödlich beim Segelflug verunglückten Sohns. Als ihr Frau Lechleitner das Zimmer zeigte und tapfer aussprach, was ihrem Sohn Hugo, vierundzwanzig, vor zwei Monaten passiert war, griff Fini mit beiden Händen nach Frau Lechleitners Händen und konnte diese Hände nicht mehr so schnell loslassen. Sie dachte an Tettnang. Hugo, zweiundzwanzig, in die Argen. Hugo, vierundzwanzig, mit dem Segelflugzeug. Hugo, zweiunddreißig, ein Brief schöner als der andere. Was stand ihr bevor? Der barsche Bruder Berthold hatte jetzt auf einen Hof in Duznau geheiratet. Ein paar Kilometer droben im Wald. Die Heimat hatte er verkauft. Die hatte sie nicht mehr. Du schaffst es, hatte der Vater gesagt. Hatte der Vater nicht auch noch gesagt: Du bist geleitet? War das nicht früher? Auf der Wallfahrt nach Zurzach zum Gnadenbild der Maria vom guten Rate? Oder noch früher vor dem Maria-Hilf-Bild auf dem Welschenberg? Du bist geleitet. Sie hätte es nicht bewahrt, wenn sie es nicht erlebt hätte. Das Kind, das der Mutter in den Ausschnitt greift. Die größtmögliche Zärtlichkeit.
    Und in Stuttgart gleich am ersten Abend die neue Adresse nach Köln gemeldet, dann ängstlich gewartet auf eine Antwort, weil sie es sich nicht vorstellen konnte, wie die Post sie mit Hilfe dieser mageren zwei Zeilen finden sollte. Aber die Antwort kam. Hugo freute sich, dass sie einander jetzt gute zweihundert Kilometer näher waren. Die Briefe gingen hin, kamen her, wie eh und je. Fini hatte einfach nicht gewusst, was einem alles einfallen kann, wenn man darauf angewiesen ist, einen Menschen, den man eigentlich zum Streicheln nah haben müsste, spüren zu lassen, wie sehr er einem fehlt. Hugo sagte genau so deutlich, wie sie ihm fehle. Jeder Brief wollte den anderen übertreffen.
    Immer morgens um halb sieben fuhr sie mit der Straßenbahn, die sie, wenn die um die Kurve bog, auch nachts hörte, in die Schwabstraße. Atelier Konetzni. Acht gut ausgebildete Schneider und Schneiderinnen arbeiteten da unter der unendlich geduldigen Anleitung von Herrn Konetzni. Tonino Konetzni. Mit Nieten geb ich mich nicht ab. Sein

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