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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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schwarz. Sie strich mit einer Hand die Wangenkurve nach. Sie sagte: Hugo.
    Nein, sagte er und trat einen Schritt zurück.
    Arno, sagte sie. Wagte aber nicht, ihn gleich wieder zu berühren.
    Verzeih, sagte er.
    Arno sei ihr lieber als Hugo, sagte sie.
    Das hilft, sagte er. Und noch heute kommst du ins Arno-Land. Ich bring dich hin.
    Er fing an auszupacken. Sie durfte nur zeigen, wo alles hinkam. Dass sie selber etwas anfasste, verbot er. Alle seine Bücher hatten Platz in dem halbhohen Regal, das sie beim Antiquitätenhändler gekauft hatte. Das fand er visionär von ihr. Und wie er die Bücher stellte, zeigte, er hatte alle gelesen. Nimm vorerst keines davon in die Hand, sagte er.
    Schade, sagte sie.
    Vorerst, sagte er. Es gibt berührbare, aber auch unberührbare. Wart’s ab.
    In der kleinen Küche war er sofort der Koch. Nudelsuppe mit Ochsenfleisch hatte sie vorbereitet. Er schmeckte die Suppe ab und befand: Muskatnuss fehlt. Hatte sie aber nicht. Dann verlangte er Lorbeer. Hatte sie auch nicht. Sie habe geglaubt, Lauch genüge. Und Sellerie, sagte er.
    Auch nicht.
    Kein Problem, sagte er, am Anfang darf eine Anfängersuppe sein.
    Weil er seine Zuständigkeit fröhlich zelebrierte, ging alles gut. Beim Essen sagte er: So gut habe ihm eine von allen Gewürzgeistern verlassene Suppe noch nie geschmeckt. Beim Auftragen und Abräumen wurde sie durch seine Bewegungseleganz zur Zuschauerin. Dann saßen sie. Er im Sessel, zwischen mächtigen Lehnen, trotzdem selber auch noch mächtig. Sie auf dem dazu gehörenden Sofa. Zwischen den ungeheuer wulstigen Seitenpolstern des rostroten Sofas kam sie sich zierlich vor. Das war ihr recht. Sein schwarzer Kordanzug passte zum grobgeriffelten Stoff ihrer Möbel. Sie hatte das Gefühl, sie habe es getroffen. Eben geleitet.
    Liebe Fini, sagte er. Das klang, als probiere er eine Sprache. Eine Ausdrucksweise. Dann noch einmal, deutlich fester, sogar lauter: Liebe Fini. Jetzt konnte er weitersprechen: Er habe sich in ihre Briefe verliebt.
    Ich mich in deine auch, sagte sie schnell.
    Aber wenn sie finde, dass alles, so wie es sei, nicht gehe, werde er noch heute zurückfahren nach Köln. Er könne jetzt nicht eins nach dem anderen aufsagen. Was sich in ihm vordränge, müsse heraus. Alles auf einmal. Gerade dass er sie vorweg doch fragen könne, ob sie sich zutraue, ihn kennenzulernen.
    Sie nickte tapferer, als sie sich fühlte.
    Zuerst das Harmloseste, aber nicht das Unwichtigste, sagte er. Nicht mehr Hugo, sondern Arno. Arno Schmidt nämlich.
    Kennt sie nicht. Klar. Also. Das ist ein Schriftsteller. Er hat diesem Schriftsteller geschrieben, dass er sich aus Verehrung für ihn Arno nennen müsse. Hat den Schriftsteller aber in diesem Brief so imitiert, dass der perplex zurückmeldete: Ich hoffe nicht, Sie seien mir als Literaturzwilling serviert. Aber dass sich der Verehrer Arno nenne, genehmige er so gnädig, wie es diesem Comic-Akt gebühre. Allerdings eine Bedingung: Der Namenwechsel nicht per Umtauferei, sondern als Reifenwechsel beim Grand-Prix-Rennen ums Lorbeerblatt. Das für die Suppe, versteht sich. Du siehst, der Schriftsteller als Suppenfürst.
    Er sah, dass Fini sich nicht wohlfühlte.
    Dann lehnen wir uns einmal zurück, weiter, als es das Zimmerchen, in dem wir gastieren, erlaubt. Das heißt, wir wollen heute überhaupt nichts mehr erfahren. Zum Wohl. Und lobte den Wein, den weißen, den sie sich hatte empfehlen lassen. Vielleicht war es der Name, der ihn begeisterte: Stettener Pulvermächer.
    Arno Schmidt war für Finis Arno ein Ausdrucksmittel. Was er selber sagen wollte, aber nicht sagen konnte, sagte er mit Arno Schmidt. Ich hoffe, du kannst ihn brauchen, sagte er. Oder, er verstummte, sah Fini eher traurig an, oder du kannst mich auch nicht brauchen.
    Ich brauch’ dich aber, sagte sie.
    Ich lass’ mir Mut machen von dir, sagte er. Statt Fotowälzer blättern, sagen wir was Gelesenes auf. Einverstanden? Sie nickte.
    Also, Arno Schmidt, sagte er, seit Jahren bezirzt er mich. Nach’m Krieg alles gelesen, was gelesen sein sollte zum Wiederanständigwerden, dann dieser zarte Rüpel, dieser überhaupt in keine Verlegenheit kommen könnende Wortmacher, Satzmeister, Sinnstrotzer. Der hat keinen Krieg verloren. Der hat ihn einfach nicht mitgemacht. Vater Polizist. Mein Vater übrigens auch. Stammt aus Schlesien. Ich zufällig auch. Aber dann hat sich’s Gemeinsame. Der klingt nämlich so, wie ich klingen möchte, aber nie kann. Hör zu, tu auf dein Gehörchen für ihn

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