Muttersohn
und für mich, seinen Schallboten.
Er richtete sich auf, griff nach Fini, klammerte sich an ihren Oberarmen fest und sagte auf – und zwar in einem anspruchslosen Ton –, fast beiläufig, auch fast zu schnell:
Rundrückiges Wolkenvieh mästete sich am Horizont, im Norden. Nö eigentlich rundum. Oder: Ein draller ländlicher Mond dicht über dem Bauernvolk.
Oder: Schweigend waren von Norden, Nordwesten, Nordosten her die grauen oktobernen Weben über mich Knaben gekommen.
Jetzt komm’ ich, sagte Fini schnell. Und fing, ohne Zustimmung abzuwarten, an:
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
Und er, ganz schnell:
Abschied vorm Haus: die Wölfin heulte etwas in die verworfene Nacht, und ich Brilleneule lachte wie im wilden Heer: Rochenaug und Haifischzahn bleibt uns ewig untertan!
Jetzt sie wieder, schnell einsetzend, dann aber sofort textfromm:
Denn die Unsterblichen lieben der Menschen
Weit verbreitete gute Geschlechter,
Und sie fristen das flüchtige Leben
Gerne dem Sterblichen, wollen ihn gerne
Ihres eigenen, ewigen Himmels
Mitgenießendes fröhliches Anschaun
Eine Weile gönnen und lassen.
Er, jetzt siegessicher:
Dann entfaltete ich resolut mein Taschenmesser, und schnitt mir noch einen Knopf vom Hemd, am Handgelenk: sie näht gerade, und das bringt menschlich näher.
Fini:
So haben die, die dich erhielten,
Für mich gesorgt: denn was ich worden wäre,
Wenn Du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken.
Arno:
Sage Mir, wo Du hingehst, und ich geh sofort andersherum!
Fini:
Halthalthalt, bleib! Sag was Liebes!
Er:
Wenn ich ein offenes Fenster sehe, ärgere ich mich schon im Voraus über den Schlager, der mir daraus entgegenblöken wird. Arno mit d-t.
Fini:
Nur stille, liebes Herz,
Und lass dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt,
Mit frohem Mut uns klug entgegensteuern.
Arno:
Den ‹greisen› Goethe stell ich mir immer als ’ne Type vor wie Adenauer.
Fini: Sagst das du?
Das sagt Er, sagte Arno. Und jetzt tue er auch mal edel angesteckt und schwitze ein bisschen Wahrheit aus. Auf Teufel komm raus. Zum Einstand!
Ich benehm’ mich jetzt iphigeniös und sag’ die sogenannte Wahrheit, auch wenn’s Probleme macht. Ich hab’s Abitur im Sack, aber wenn einer fragt: Was haben Sie gelernt, sag ich: Töten. Zuerst Napola. Kennst du?
Sie schüttelte den Kopf.
Er: Nationalpolitische Erziehungsanstalt. Nazi-Elite. Wir Napola-Schüler hätten, falls der Schwindel gut gegangen wäre, die Welt regiert. Alle, wie sie heute da sind und als ehrenwerte Sowiesos rumrudern. Ich, sobald es nur ging, weg, ab zur SS . Kriegte eins über die Rübe, wachte auf in Greifswald, einäugig und vermummt. Glück gehabt. Als Unverwundeter hätte ich nicht überlebt. Also Einser-Abi. Breslau war nicht mehr. Papa, Mutti et cetera auch nicht. Hat mich einer geheuert. Versicherungsbranche. Mir war’s egal. Gelernt, bestanden, die Firma, schon einhundertzehn Jahre am Platz, freut sich, ich arbeite flink weg, was kommt, fahr’ Samstag, Sonntag hinaus, schau’ mir Fußball an, am liebsten, wenn Fünfzehnjährige spielen, war in der Ordensburg Mittelstürmerstar. Rede so lang drein, wenn die ihr Spiel diskutieren, bis sie mich als Trainer anheuern. FC Welschkirchen. Ich bring die hoch, Regionalligaspitze. Wenn Jungs duschen, schau’ ich zu, lade mal die drei Zuckrigsten ein, fahr’ mit denen weit in den Eifelwald, trink’ mit denen, rede mich heiß, die spuren, im Auto wird dann gewichst. Schau ruhig weg. Ich sprech’ gern in dein Ohr. Daraus wird etwas Regelmäßiges. Keiner muss, nur wollen muss er. Ein paar wollten immer. Sind ja fünfzehn. Noch keine Freundin. Aber einer kommt zu kurz, verpfeift uns. Der Intim-Club, so haben wir uns genannt, fliegt auf, wird ertappt, in flagranti, im Wald auf der wildkarierten Decke, als es gerade richtig schön zuging. Also abgeführt. Nur ich natürlich. U-Haft. Anklage. Es regnet Paragraphen. Höchste Stellen werden eingeschaltet. Ich werde zum bekennenden Homosexuellen. Der Direktor des kriminalwissenschaftlichen Instituts der Uni Köln befindet, im Fall eines grundsätzlich behandlungsfähigen Homosexuellen sollte mit einer Psychotherapie im Rahmen der einstweiligen Unterbringung auch dann begonnen werden,
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