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Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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verfassungsfeindlich, sich an Ort und Stelle über das Bildungswesen der DDR zu informieren, das Schulsystem der DDR kennenzulernen, das international hoch angesehen ist.
    Und Arno: Dann leiert er Formeln daher, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten. Das kennen wir!
    Und sie heftig weiterlesend: Für die Ablehnung der Übernahme in den öffentlichen Dienst genügen bereits Zweifel an dem Eintreten für die grundgesetzliche Ordnung, ohne dass der Nachweis für verfassungsfeindliches Verhalten erbracht werden muss.
    Gut so, rief Arno, endlich wieder ein Staat, der sich zu helfen weiß. Und du, die ungebildete Gans aus Gellnau, was tut sie? Sie steht nicht nur vorn in der ersten Reihe, sondern … ja … komm … komm … sondern … sie nimmt, dass der seine Dokumente entfalten und daraus so dumm wie böse vorlesen kann, sie nimmt ihm das Mikro ab, ja, und hält es ihm hin, so ergeben wie nur die Gans aus Gellnau einem rotäugigen Kommunarden ein Mikro hinhalten kann.
    Türkis, rief sie, schrie sie, türkisäugig.
    Arno kam auf sie zu. Was, bitte, quatschst du da, sagte er grimmig, sagte es so, als habe sie ihm mit diesem Einwand einen Gefallen getan.
    Er hat türkisfarbene Augen, sagte sie so entschlossen, als komme es darauf an.
    Arno höhnte: Türkisfarbene Augen! Da haben wir uns aber aus nächster Nähe innigst verguckt! Du linke Granatenfotze, du … Und schlug auf sie ein. Wenn er auf sie einschlug, glühte immer seine Narbe. Vom Haaransatz bis zwischen die Augenbrauen eine glühende Kurve. Das war an Samstagen nach zwei Flaschen Asbach nichts Ungewöhnliches.
    Sie rannte dann hinaus, schrie aber nicht. Wegen Herrn Fränkel schrie sie nie, wenn sie geschlagen wurde. Sie rannte wie immer, wenn er auf sie einprügelte, zur Neckarstraße vor und hinüber über sie. Auf der anderen Seite fühlte sie sich sicher. Er wäre, so betrunken, nicht fähig, sich zwischen den Autos durchzudrängen. Dann vor, bis zum Palmbräu, das auf der anderen Seite war. Da wieder über die Neckarstraße, zu Herrn und Frau Schultheiß, die immer ein Zimmer hatten, in dem sie bis Montagmorgen bleiben konnte. Eigentlich war es schon am Sonntagabend nicht mehr gefährlich, zurückzukommen. Er lag dann wie bewusstlos auf dem Boden, auf der Couch, oft in Erbrochenem. Ab Montag war er wieder der Mann, der so zuvorkommend war, wie einer nur sein kann. Seine Wochenendaufführung wurde nicht erwähnt. Wahrscheinlich hatte der Alkohol alles gelöscht, was da zu erinnern gewesen wäre.
    Dieser entlassene, nicht in den Staatsdienst übernommene Studienreferendar, dem Josefine das Mikro hingehalten hat, war … Percy machte eine Pause. War Ewald Kainz.
    Ewald reagierte nicht.
    Und Percy: Das war 1973. Im Januar.
    Zwei Flugblätter brachte Fini mit von der Demonstration. Die versteckte sie in dem Schrankfach, in dem sie ihre Unterwäsche aufbewahrte. Da waren sie sicher.
    Dass seine Frau seit der Demonstration vor dem Neuen Schloss Briefe an einen gewissen Ewald Kainz schrieb, nahm Arno nicht übel. Keiner dieser Briefe wurde abgeschickt. Arno sagte, wenn er nüchtern war, er wisse ihre Schreibübungen zu schätzen. Wenn er nüchtern war, lobte er sie, wenn sie las. Ob die Bibel oder Voltaire, war ihm egal, nur Arno Schmidt durfte sie nicht lesen. Wenn sie diesen Namen aussprach, wurde Arno wütend. Ein so ungebildeter Mund dürfe den Namen des gebildetsten deutschen Dichters nicht aussprechen. Wenn es ihr doch wieder einmal passierte, konnte er, was er gerade in der Hand hatte, an die Wand werfen, und sei’s ein Teller oder ein Glas. Er war eben im Laufe der Jahre sehr empfindlich geworden. Andererseits führte er den Haushalt vorzüglich. Er kochte viel besser als sie. Wir kochen nicht in derselben Liga, sagte er, wenn sie versuchte, ihn zu loben. Dass er überhaupt eine höhere, feinere, edlere, raffiniertere, brillantere Menschenart war als sie, daran ließ er keinen Zweifel. Richtig schlimm an ihr fand er nur ihre Sympathie für die linken Lümmel. Die hätte er, wenn er etwas zu sagen gehabt hätte, sofort nicht töten lassen, aber kastriert sofort, alle. Nun also das Briefwerk dieser Frau, gerichtet an einen gewissen Ewald, dem sie einmal das Mikro hingehalten hatte, und auch das nur höchstens dreißig oder vierzig Minuten lang.
    Sie war dann keine so gute Schneiderin oder Wäschebeschließerin mehr. Ihr immer alle mitreißender Eifer und Ehrgeiz erlosch. Nicht an einem Tag oder in einem Monat, aber sie

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