Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muttersohn

Muttersohn

Titel: Muttersohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Krampf hatte ihn besetzt und wollte sich auch jetzt auf dem Weg von K VII zum Ärztehaus nicht lockern.
    Trat ein bei Frau Meyer-Horch, sie wurde wie immer von ihrem Bürosessel hochkatapultiert. Das war schon erstaunlich, diese jähe Levitation, wenn er eintrat. Er musste den Professor fragen, ob sich das, wenn sonst wer eintrete, genau so abspiele. Es schlug ihr vom Hochgerissenwerden auch noch beide Hände nach oben, die trafen sich, als klatsche sie da droben in ihre Hände, dann sanken die wie Flügel bei einer Landung langsam herab. Dazu fiel ihr wuscheliger Kopf am langen Hals auf ihre linke Schulter. Alles wie bei einer Puppe. Und alles jedes Mal gleich. Und weil sie das Ganze für eine gelungene Nummer halten durfte, lachte sie. Percy konnte nur nicken.
    Wie lange das ist, dass man einander nicht gesehen hat, sagte sie, das hängt nur davon ab, wie sehr man einander vermisst hat.
    Und dass sie jetzt so lachte, war verständlich, denn tatsächlich hatte Percy bei ihr vor etwas über zwei Stunden den Schlüssel geholt. Den er jetzt wieder ablieferte.
    Ach, Luzia Meyer-Horch, sagte er.
    Ach, Anton Percy von Schlugen, sagte sie.
    Sie sahen einander an, wortlos und unverlegen. Dann sagte sie: Sie treten ein, und mich wirft’s in die Höhe. So leicht machen Sie mich.
    Dazu bin ich da, Luzia, sagte er.
    Und sie, leiser, obwohl ja ihre beiden Hilfen im Vorzimmer saßen, also nichts hören konnten: Der Professor hat’s mir schon gesagt, dass Sie wieder zu uns sprechen werden.
    Dann weiß er mehr als ich, sagte Percy.
    Dazu ist er da, sagte sie.
    Percy durfte gehen.

5.
    Dass Ewald ihm bis jetzt zugehört hatte, drückte doch ein Interesse aus. Auch wenn Ewald sein Handy bewachte, er hörte zu. Wenn Percy das nicht so empfunden hätte, hätte er nicht so reden können, wie er inzwischen redete. Er erzählte, was er sagte, nicht nur Ewald, sondern auch sich selbst. Der Professor hatte einmal gesagt: Die haben früher nicht für andere gesungen, sondern für sich selbst. Sie fühlten sich erst, wenn sie gesungen haben. So ging es ihm. Er musste sich in eine Unabhängigkeit von Ewald hineinerzählen, auch wenn er ihn direkt ansprach. Das brauchte er. Für sich.
    Nur dass du Bescheid weißt, sagte er. 1973, vier Jahre vor meiner Geburt, hat Josefine Schlugen an dieser Demonstration teilgenommen, hat die Sternschnuppe am nördlichen Himmel erlebt, den glühenden Redner am eiskalten Tag. Dann kam sie zurück, wusste nur noch, dass sie den von ihr gestrickten dunkelgrünen Fingerhandschuh, mit dem sie ihm sein Mikro hingehalten hat, nie mehr verlieren durfte. Arno stand mitten im Zimmer, breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt, die Baseballmütze verkehrt herum auf dem Kopf. Dann war er betrunken. Es war Samstag, da war er jetzt immer öfter schon am mittleren Nachmittag betrunken. Sie roch den Asbach Uralt.
    Er las am Samstag sofort nach dem Frühstück Arno Schmidt. Las laut. Ging im Zimmer hin und her, nahm jedes Mal, wenn er am Asbach vorbeikam, einen Schluck, ging weiter und las. Er las und ging und trank, bis er nicht mehr lesen, gehen und trinken konnte. Landete in einem Sessel, auf dem Sofa oder auf dem Boden.
    Inzwischen brauchte er manchmal schon fast zwei Flaschen Asbach, bis er niedersank. Das Lesen steigerte er, bis er nicht mehr konnte. Herr Fränkel, der Vermieter, der im ersten Stock wohnte, kam öfter herunter, weil er glaubte, Herr Schwillk sei dabei, seine Frau umzubringen. Herr Fränkel konnte nicht begreifen, dass dieses Geschrei und Gebrüll immer der Text eines Dichters war. Das können Sie mit mir nicht machen, sagte er dann, wenn er wieder gesehen hatte, dass die Frau noch lebte.
    An diesem Januarsamstag aber hatte Arno, als Fini heimkam, kein Arno-Schmidt-Buch in der Hand. Und getrunken hatte er auch noch nicht so viel, dass er schon hinsank. Stand also noch breitbeinig da.
    Woher kommen wir denn, fragte er.
    Sie: Von einer Demonstration. Vor dem Neuen Schloss. Gegen die Berufsverbote.
    Und er: Haben wir wieder so einem linken Lümmel zugehört?
    Als Lehrer entlassen, weil er zweimal auf Einladung in die DDR gefahren ist, sagte sie.
    Und DKP -Mitglied ist er auch, brüllte Arno. Und machte im zitierenden Ton weiter: Die Mitgliedschaft in der DKP ist ausreichend, um Zweifel an Ihrer Verfassungstreue zu begründen!
    Und sie: Hat er vorgelesen. Du warst also auch dort.
    Er: Wenn auch nicht so weit vorne wie du.
    Jetzt sie, jetzt von einem mitgebrachten Flugblatt ablesend: Ist es

Weitere Kostenlose Bücher