Muttersohn
irgendwo sind. Meine Enge hat sich seit heute Mittag wieder geöffnet. Meine enge Welt. Arbeit, Wohnung, Isolierung, mal mit, mal ohne Mann. Ich fühle mich frei. Geöffnet. Ich kann wieder lesen. Was ich jetzt auch wieder tun werde. Und beten auch. Zu Maria. Maria nimmt mich auf. Immer. Sie sieht auf jedem Bild so aus, als warte sie auf mich. Mein Vater hat keine Frau so verehrt, wie er Maria verehrt hat. Wenn man einen Maria-Verehrer als Vater gehabt hat, kann einem nichts mehr passieren. Sogar der SS -Mensch macht immer wieder Kniefälle vor mir. Er sagt: Er will mich verehren. Du bist verehrenswert, sagt er. Und er schlägt mich nur sehr ungern. Wenn es gar nicht anders geht. Mir ist es noch nie so gut gegangen wie jetzt. In diesem Augenblick. Ich bin geleitet. Auf und hinauf, das ist mein Leben.
Nur dass Sie’s wissen. Ich habe keine manische Phase. Ich strecke mich nur nach Glücksberührung. Ich will Glück. Sonst nichts. Nur Glück.
Jetzt leg ich los. Ich krieg Ihre Adresse raus, dann schreib ich an Ihre Frau. Sehr geehrte Frau Kainz, schreib ich dann, warum hat Ihr Mann gerade Sie geheiratet? Wegen Ihrer Figur? Sicher hat Ihr Mund ihn angezogen. Ein Mann kann eines Mundes wegen ein Leben lang bei einer Frau bleiben. Ich habe diverse Frauen mit solchen Mündern beobachtet. Mein Mann und ich haben uns auf dem Papier kennengelernt. Unsere Briefe haben sich in einander verliebt. Als wir dann einander sahen, war es aus. Er ist ein Trinker geworden. Obwohl er Männer vorzieht, hielt er mir Frauen vor, aus dem Geschäft, in dem er gearbeitet hat. Im Vergleich mit denen war ich immer nichts. Verrückt soll ich auch noch sein. Vielleicht bin ich’s ja. Ich soll nur in den Spiegel schauen, sagte er immer, dann … Außerdem sei ich durchs Lesen verdorben. Durchs Lesen der falschen Bücher. Ich bin durchs Lesen meiner Bücher freier geworden. Ich wage mehr. Natürlich auch nur auf dem Papier. So wie jetzt hier: Brief an Frau Soundso. So triumphiere ich über die dumme Wirklichkeit, in der nichts geht. Ich bin keine Schriftstellerin, klar. Aber ich möchte den Kampf um Ihren Mann immer weitertreiben, bis er nur noch Literatur ist. Ihr Mann gefällt mir als Mann. Ich hatte mehr als vierzig Minuten Gelegenheit, ihn aus der Nähe zu sehen. Ich habe fast nur auf seinen Mund geschaut. Ein Bubenmund, find ich. So ein Lippentrotz und -protz. Schnell mal die Unterlippe eingeklemmt, eine Pause gemacht, die Leute angeschaut, ob er verstanden worden sei. Ein Mund zum Lachen, zum Fluchen, wahrscheinlich auch zum Küssen. In den Zeitungen war er dann auch noch abgebildet. Samt seiner geballten Faust. Und ist miesgemacht worden. Als Kommunist. Zum Glück war ich nicht auf diesen Bildern. Mein Mann hätte mich erschlagen. Ihr Mann stottert. Ein bisschen. Immer wenn er sich in seiner Rede gegen die Berufsverbote gesteigert hat, hat er gestottert. Ein bisschen. Ich war so nahe bei ihm, dass ich genau sah, wie es in seinem Hals zuging. Und jedes Mal schaffte er’s wieder. Ich hatte so Angst um ihn. Ich habe schnell ein Stoßgebet zu Maria hinaufgeschickt, zur Horber Maria vom guten Rat, o starke Jungfrau Himmelskönigin, o Maria, hilf! Und sie hat geholfen. Dem Kommunisten hat sie sein Stottern genommen. Falls ihm was passieren will, empfehlen Sie ihn Marias Schutz.
Ihr Mann gefällt mir, ich sag’s noch einmal, als Mann. Ich seh ihn vor mir, andauernd. Über mir auch. Entschuldigen Sie, bitte. Ich will Ihnen nichts nehmen, was mir nicht zukommt. Was sollte ich auch anfangen mit Ihrem Mann! Und er mit mir! Vor Jahren hab ich mich in einen Schneider verliebt. Ich bin ja, müssen Sie wissen, Schneiderin. Diesen Kollegen hab ich richtig verfolgen müssen, aber dann war es aus, bevor es angefangen hat. Mein Mann hat in den letzten Jahren unserer Ehe immer weniger gesprochen. Trinken und Lesen. Auf dem Klo, in der Badewanne, nur gelesen. Wenn er mit mir redete, hieß es immer nur, er wäre froh, wenn ich tot wäre. Wenn ich mich doch endlich umbrächte. Er hasse mich, sagte er. In den Büchern kommt manchmal Hassliebe vor. Kann es so was sein? Ich möchte Ihrem Mann meinen nackten Busen entgegenstrecken und sehen, was er dann macht. Tut es Ihnen weh, wenn ich so was schreibe? Aber aus den Büchern weiß ich, dass es in Ihren Kreisen erlaubt ist zu sagen, was man denkt. Sie sollen mir, Sie werden mir nicht antworten. Ich bin nichts als eine beliebige Briefschreiberin. Sie erniedrigen sich, wenn Sie mir antworten. Ich bin es nicht
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