Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
vor dem Fernseher ein.
»Findest du das nicht un-glaub-lich?«, ruft Muddi und reißt mich damit aus meinem Tagtraum.
Kurz bin ich verwirrt. »Was denn?«, frage ich.
Muddi stöhnt. »Na, dass sie mir so unter die Nase reiben muss, dass ihr Gedächtnis viel besser ist als meins.«
»Lass sie doch«, sage ich. »Ist doch schön, wenn wenigstens eine von euch darauf kommt. Und das nächste Mal bist du dann diejenige, die ihr auf die Sprünge hilft.«
Während meine Mutter weiter über ihre mangelhafte Gedächtniskraft lamentiert, überlege ich, dass die Gartenmöbel durchaus mal wieder einen neuen Anstrich vertragen könnten. Ich beschließe, mir demnächst ein paar Tage freizunehmen, um Muddi eine Freude zu bereiten und Tisch und Stühle zu streichen.
Vorsichtshalber erzähle ich ihr noch nichts davon, denn dann würde sie versuchen, mir das Ganze auszureden. Das macht sie immer, weil sie das Gefühl hat, es würde mir nur zur Last fallen. Aber eigentlich macht es mir sogar Spaß. Also werde ich meine Mutter in der kommenden Woche einfach für drei Tage am Stück heimsuchen. Dann können wir tagsüber den Garten umgraben, die Gartenmöbel streichen, Papiere sortieren, einkaufen fahren und abends Wer wird Millionär? sehen, dabei ein, zwei Gläser Rotwein trinken und beim Anblick des Kandidaten aus Leer ausrufen: »Igitt, hat der ein fliehendes Kinn! Der gewinnt bestimmt nicht mal fünfhundert Euro!«
Ich liebe solche Abende bei meiner Mutter. Wir essen und trinken gemeinsam, der Fernseher läuft nebenbei. Er kann auch nur nebenbei laufen, weil wir uns die ganze Zeit unterhalten. Nur ab und zu blicken wir auf den Bildschirm und staunen, dass die kürzlich begonnene Sendung schon seit über einer Stunde zu Ende ist.
Meistens kramen wir bei solcher Gelegenheit in unseren Erinnerungen und erzählen uns von früher. Dann rufen wir uns ins Gedächtnis, wie mein Sohn Philipp mit acht Monaten in der Ecke von Muddis Sofa saß, zwischen zwei ihrer mit Kreuzstich bestickten Kissen eingekeilt, damit er nicht zur Seite kippte. Und wir werden ganz sentimental bei dem Gedanken daran, wie meine Mutter einmal sagte: »Lass ihn uns noch ordentlich abküssen. Plötzlich ist er zwanzig und aus dem Haus, und alles, was er dann noch zulässt, ist eine kurze Umarmung, Laura.«
Wie recht sie doch hatte … Ich hätte ihn noch tausendmal öfter abküssen sollen, dann hätte ich ein Depot für den Rest meines Lebens. Jetzt ist er ein Teenager und findet es natürlich peinlich, mit uns zu kuscheln. Alles, was mir bleibt, sind ein paar schöne Erinnerungen.
Und ich bin froh, dass ich die mit Muddi teilen kann. Wen interessiert schon, wie die Witwe von Jopie Heesters heißt? Wichtig ist doch, dass man sich an die eigene Familie erinnert.
33
»Ich muss meine karge Rente zusammenhalten!«
D er Dicke von gegenüber hat mir bestätigt, dass ich bei Kaufmarkt neulich achtzig Cent zu viel gezahlt habe«, sagt Muddi heute beim Frühstück zu mir.
»Der Dicke von gegenüber« – jedes Mal, wenn sie von ihm spricht, wählt Muddi diese Umschreibung. Ganz so, als hätte ihr Nachbar keinen Namen und würde nicht schon seit zehn Jahren in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft leben. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Mutter glaubt, ich litte unter einer fortschreitenden Alzheimererkrankung, und sie müsste mir jeden Tag aufs Neue erklären, wie ihr Nachbar aussieht.
Ich verzichte darauf, ihr zu sagen, dass ich sehr wohl wüsste, wen sie meint, selbst wenn sie nur seinen Namen nennt.
»Wofür denn?«, frage ich bloß.
Muddi zieht eine der Haarklammern aus dem Dutt, streicht die Haarsträhnen zurecht und schiebt die Klammer ganz fest zurück an ihren Platz. Dann nimmt sie noch einen Schluck des Filterkaffees, den sie an diesem Donnerstag besonders stark aufgebrüht hat.
»Ich hatte mir doch eine Packung Fleischsalat gekauft«, erzählt sie dann. »Weißt du noch?«
Natürlich weiß ich nicht mehr so genau, welchen Salat sie sich am vergangenen Donnerstag ausgesucht hat.
»Ja, genau«, sage ich dennoch, nur um keine unnötige Diskussion auszulösen.
»Und der kostet normalerweise 1,79 Euro.«
Als sie den Preis ausspricht, nickt sie mir eindringlich zu, so, als sei ganz klar, dass ich über sämtliche Partysalatpreise aus der Kühltheke natürlich bestens informiert bin. Meine Mutter könnte die Beträge im Gegensatz zu mir im Schlaf herunterbeten. Sie ist ein echter Preisfuchs. Vielleicht hat das mit der Generation zu tun, aus der sie
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