Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Leute eine ganz besondere Art, mit meiner Mutter umzugehen, die ihnen vieles leichter macht. Das ist mir gerade neulich wieder aufgefallen.
Es ist Frühsommer, der Rasen sprießt wie verrückt. Muddi steht in ihren zehn Jahre alten Sandalen und ihrem Blümchenkleid vor einer hochgewachsenen roten Rose und schüttelt missmutig den Kopf.
»Laura«, sagt sie, »eigentlich müsste ich mal wieder einen Gärtner anstellen, damit der sich um all das kümmert. Aber ich hab einfach ü-ber-haupt keine Lust mehr auf all die fremden Menschen in meinem Haus. Ach, und die wollen nur mein Geld.«
Ich gebe ihr recht, erinnere sie aber daran, dass ich nicht häufiger kommen kann als einmal in der Woche. Dann gehen wir meistens einkaufen, und wenn genügend Zeit bleibt, sauge ich eventuell noch Staub oder ordne Muddis Papiere. Aber fürs Grobe benötigt meine Mutter nun einmal Fremdhilfe.
Mit hilflosen Bewegungen versucht meine Mutter, die nur 1,62 Meter groß ist, nun die schätzungsweise über zwei Meter hohe Rose zu beschneiden.
»Ach Laura«, sagt sie klagend, »kannst du mal …?«
»Ja klar doch«, antworte ich, die Größere von uns beiden, und schneide mit einer Bewegung den verwelkten Kopf der Rose ab.
»Kind, ich bin nur froh, dass du nicht noch größer geworden bist. Wie sähe das denn aus?«
Hm, überlege ich im Stillen, vielleicht sähe ich mit 1,80 Meter schlanker und graziler aus und wäre Mannequin geworden. Dann würde ich in einem schicken Apartment mitten in Paris leben und wäre mit Karl Lagerfeld und Pierre Cardin auf Du und Du. Champagnerfrühstück im Ritz, schwüle Abende im Moulin Rouge und zum Ablegen der Beichte ins Sacre Coeur. So könnte mein Leben aussehen. Stattdessen bin ich normal groß, habe Verwaltungsfachangestellte gelernt und schreibe inzwischen Geschichten über Muddi.
Meine Mutter reißt mich jäh aus meinen Tagträumen mit Karl und Pierre.
»Laura, hörst du mir gar nicht zu? Am besten, ich kauf mir so einen vollautomatischen Rasenmäher. Den müsstest natürlich du mir holen. Oder … ach nee, ich glaube, die bringen den direkt zum Kunden. Was meinst du?«
Super Idee, denke ich, aber wieso ist sie auf einmal bereit, so viel von ihrer, wie sie selbst sagt, knappen Rente für – sagen wir es mit ihren Worten – Schnickschnack auszugeben? Aber im Grunde ist das ja egal. Denn wenn meine Mutter einmal was beschlossen hat, dann zieht sie das auch durch.
Das Vorhaben in die Tat umzusetzen, dauert nur eine Woche. Nach längeren Telefonaten mit einer Gartenfirma ist es uns gelungen, den Liefer- und Installationstermin für den Hightechrasenmäher, den wir sofort Auto-Mäh getauft haben, auf einen Donnerstag zu legen. Er ist ein kleiner dunkelgrauer Roboter, der von alleine durch den Garten düsen soll und aussieht wie ein plattgefahrener Staubsauger ohne Rüssel oder Kabel. Ich glaube, er ist das Juwel der Kollektion, ein Porscheersatz für den liquiden Kleingärtner.
Zur Lieferung des neuen Rasenmähers – quasi als Empfangskomitee für den Auto-Mäh – ist meine Schwägerin Ute zu uns gestoßen. Wir sitzen bereits seit einer geschlagenen Stunde an Muddis Tisch auf der Terrasse und trinken Filterkaffee, der wieder einmal nicht nur den Herzschlag innerhalb von Sekunden enorm in die Höhe treibt, sondern uns zugleich auch mächtig ins Schwitzen bringt.
Ute stöhnt. »Muddi, das nächste Mal kannst du ruhig etwas weniger Pulver nehmen, mir ist so heiß, ich bin kurz vor dem Herzinfarkt!«
»Ach was«, winkt Muddi ab, »ihr seid nur nichts Gutes mehr gewöhnt. Wenn ich schon sehe, wie ihr euch ein Tütchen Cappuccino vom ALDI aufmacht und dann dieses läppische Pulver mit heißem Wasser übergießt. Pah!«
Bevor meine Schwägerin dem etwas entgegensetzen kann, sehen wir am Eingangstor den ersehnten Besuch nahen, einen Unbekannten in grauem Kittel.
Der Lieferant platziert auf dem Hof einen Koffer, Kabel, eine Maschine zur Installation und natürlich den neuen Rasenmäher. Dann kommt er zu uns und stellt sich als Herr Dahlke von der Rasenmäherfirma vor.
»Dahlke?«, sagt Muddi interessiert. »Oh, ich kannte mal einen Herrn Dahlke aus Himmelpforten, der war Grundschullehrer, sind Sie mit dem verwandt? Ach Gottchen, nein, den können Sie ja gar nicht mehr kennen, der war damals ja schon über siebzig … aber vielleicht ist er ja ein Opa von Ihnen? Oder ein Uropa? Wissen Sie, der Arme hatte nur noch ein Bein, das andere mussten sie ihm noch im Januar 45 amputieren. Steckschuss, Vene
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