Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
stammt.
Ich warte ab, was sie sagt, denn ich habe den Mund voll, weil ich gerade an einem Stückchen Mischbrot kaue, belegt mit ebenjenem Fleischsalat.
»Letzten Donnerstag war der Fleischsalat aber im Angebot!«, ruft Muddi triumphierend. »Er kostete 99 Cent statt 1,79 Euro.«
Nachdem meine Mutter den Preisknüller hat platzen lassen, legt sie erst einmal eine effektvolle Pause ein. Sie beißt langsam, sehr langsam von ihrem Toast ab, trinkt anschließend ebenfalls in Zeitlupentempo einen Schluck Kaffee, setzt die Tasse behutsam wieder ab, zieht sich abermals eine Haarklammer aus dem Dutt, friemelt an dieser Klammer herum und steckt sie sich wieder ins Haar zurück.
»Ehm, wo war ich gerade stehen geblieben?«, fragt sie dann und lächelt mich an.
»Bei dem Fleischsalat-Schnäppchen, Muddi«, sage ich betont ruhig. »99 Cent statt 1,79 Euro.«
»Ach ja!«, sagt sie und rückt die Sofakissen zurecht. Ein Handkantenschlag pro Kissen und alles sieht wieder aus wie in einem Prospekt von Schöner Wohnen . »Natürlich hab ich deswegen den Fleischsalat genommen. Ich muss ja auch nach Angeboten gucken, bei meiner kleinen Rente, Laura.«
Ist klar, Muddi, denke ich. Im Gegensatz zu anderen Rentnern verfügst du ja zusätzlich auch nur über die Einnahmen aus der Vermietung des Grafenhäuschens.
»Ich mach mal eben den Ton leiser, Laura«, ruft meine Mutter und springt plötzlich auf. »Die Werbung ist immer viel lauter als die normalen Sendungen. Vor allem bei RTL .«
Muddi nimmt die Fernbedienung und reduziert die Lautstärke des Fernsehers. So langsam werde ich nun doch ein wenig ungeduldig.
»Nun setz dich doch mal wieder hin, Muddi, und erzähl endlich mal zu Ende.«
»Ja doch«, sagt meine Mutter in aller Seelenruhe, »wir haben doch noch den ganzen Tag Zeit, Laura.«
Haben wir nicht, denke ich, spreche es aber nicht aus.
»Als ich am Abend meine Buchführung gemacht habe – du weißt ja, das mache ich seit fünfzig Jahren nach jedem Einkauf –, da seh ich doch tatsächlich, dass die mir für den Fleischsalat die üblichen 1,79 Euro abgeknöpft hat!«, erzählt Muddi, und Empörung schwingt in ihrer Stimme mit. »Da plaudert man noch so nett mit dieser Frau, und schon ist sie abgelenkt und gibt etwas Falsches in die Kasse ein. Aber der ist ja egal, ob eine arme Rentnerin mit ihrem Geld auskommt. Nur ich hab dann am Abend den Ärger.«
Meine Mutter führt tatsächlich seit etwa fünfzig Jahren jeden Tag Buch über alle Einnahmen und Ausgaben. Dazu gehört, dass sie akribisch alle Kassenbons von sämtlichen Einkäufen sammelt, und wenn sie mal an der Kasse nicht automatisch einen Beleg bekommt, bleibt sie so lange stehen, bis die Verkäuferin ihr endlich einen reicht.
Abends dann setzt sie sich auf ihr Sofa, kramt ihr Portemonnaie aus der Handtasche, fischt alle Kassenbons heraus, reiht sie auf dem Tisch auf, greift zu ihrem Haushaltsbuch und notiert sich mit Datum und Angabe der eingekauften Artikel sowie des Ortes, an dem sie den Einkauf getätigt hat, ganz genau sämtliche Ausgaben.
Stimmt ein Betrag ihrer Meinung nach nicht, markiert sie die nicht korrekte Ausgabe mit einem Rotstift und ruft in dem Geschäft an, in dem der Fehler passiert ist. Danach verabredet Muddi einen Termin und bekommt beim nächsten Einkauf ihre achtzig oder sechzig oder auch fünf Cent zurück. Mit einer angemessenen Entschuldigung des Marktleiters oder der Marktleiterin selbstverständlich.
Im Laufe der Jahrzehnte haben sich viele solcher Haushaltsbücher angesammelt. Meine Mutter hat kein einziges weggeworfen. Diese Buchhaltungsunterlagen lagern in Regalen, Schubladen oder Kartons auf dem Dachboden oder sonst irgendwo im Haus, ja, ich habe auch schon einige im Gästebad gefunden. Ich weiß nur nicht, was meine Mutter dort mit den Büchern macht. Benutzt sie diese als Klolektüre, oder weiß sie einfach nicht mehr wohin damit?
»Nachdem der Dicke von Gegenüber mir die Werbeunterlagen des Supermarkts noch mal gegeben hat, hab ich wegen des Fleischsalates dort angerufen, Laura«, informiert mich meine Mutter nun. »Nachher hol ich mir mein Geld wieder.«
Ich unterlasse es an dieser Stelle, ihr zu erklären, dass das Benzin, das wir auf dem Weg zum Supermarkt verfahren, vermutlich mehr als achtzig Cent kostet. Immerhin will ich Muddi nicht die Freude nehmen, zu ihrem Recht zu kommen. Die ist manchmal mehr wert als alles Geld der Welt.
34
»Wir kommen doch schon seit zwanzig Jahren hierher!«
S paß an der aus ihrer
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