Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
meinetwegen auch Eurooo …« Sie zieht das letzte Wort in die Länge, um mir zu zeigen, wie lächerlich sie es findet, dass ich sie auf den Fehler hingewiesen habe.
»Du bekommst aber für alte Goldrandteller von Woolworth keine Hunderte von Euro mehr, Muddi«, halte ich ihr vor.
»Margot hat erzählt, dass ihre Nachbarin ganz viel Geld für ihr altes Service bekommen hat. Und das wird ja wohl stimmen.« Und bevor ich zu Wort komme, sagt sie abschließend: »Wenn ich mal tot bin, schmeißt ihr bestimmt mein ganzes schönes Porzellan weg. Und alles, woran mein Herz hing. Alles, wofür dein Vater und ich immer gespart und es uns dann voller Freude und Glück angeschafft haben. Du machst mich so traurig …«
Normalerweise würde das Gespräch so verlaufen. Weil ich heute aber weder Lust auf Krach noch auf eine tränenreiche Versöhnung habe, weiche ich von der Routine ab, drücke meine Muddi nur fest und sage leise: »Ist gut, Muddi. Du machst das schon richtig.«
Für einen Augenblick ist meine Mutter verblüfft und schweigt, was wirklich sehr, sehr selten vorkommt. Dann jedoch hat sie sich schnell wieder gefasst und entgegnet nur lapidar: »Veräppeln kann ich mich auch alleine!«
Und das zeigt mir, dass auch Muddi weiß, nach welchen Regeln gespielt wird – und dass ich diese gerade gebrochen habe.
32
»Jopies Witwe heißt Simone – warum komm ich da nur nie drauf?!«
D ass Muddi vorübergehend vergesslich ist, wenn es ihr gerade in den Kram passt, hatte ich ja bereits erwähnt. Manchmal hingegen vergisst sie aber auch tatsächlich etwas, das ihr dann später erst wieder einfällt. Oder auch gar nicht.
Dass sie mal einen Aussetzer hat, finde ich angesichts ihres Alters völlig normal. Wenn ich daran denke, dass ich mit Anfang vierzig manchmal nicht weiß, wohin ich fahren wollte, nachdem ich gerade ins Auto gestiegen bin, hat Muddi sich im Vergleich dazu ganz gut gehalten. Allerdings regt sie sich immer furchtbar darüber auf, wenn ihr Gedächtnis sie mal im Stich lässt.
Eines Tages stehe ich mit meiner Mutter bei ihr im Garten. Sie trägt ein geblümtes Sommerkleid und zeigt mir gerade ihre Nachtviolen, die sich wie in jedem Jahr so immens vermehrt haben, dass der ganze Garten wie eine lila Wolke aussieht und süßlich duftet.
Ich liebe diesen Anblick. Wenn ich das Blumenmeer sehe, erinnere ich mich noch genau daran, wie ich als Sechsjährige mit meiner Freundin beim Cowboy-und-Indianer-Spiel auf einem imaginären Schimmel durch die Nachtviolen-Prärie ritt. Meine Freundin war Old Shatterhand, ich Winnetou. Wir haben niemals die Rollen getauscht, auch wenn sie des Öfteren versuchte, mir den Shatterhand anzubieten. Nein, ich konnte und wollte immer nur der siegreiche, tapfere und gute Winnetou sein. Hugh.
Ob Muddi diese Erinnerung teilt, weiß ich nicht. Sie steht neben mir und klaubt einige Pflanzenteilchen aus ihrem Haar, die sich wohl beim Beschneiden des Apfelbaumes auf ihren Dutt verirrt haben.
»Guck dir mal mein Kleid an, Laura«, sagt sie unvermittelt. »Das hab ich jetzt bestimmt schon zehn Jahre. Ich weiß noch genau, wie ich es gekauft habe. Gott, was hatte ich damals für eine gute Figur! Es ist jetzt zwar schon ein bisschen oll, aber für hier draußen geht’s doch noch, oder?«
Ich sehe mir das Kleid an und nicke.
»Wenn es zerrissen wäre, dann würde ich es wegwerfen«, sagt sie und bohrt eine grüne Pflanzstange ins Rosenbeet. »Weißt du, was Margot immer macht, wenn eins ihrer alten Gartenkleider zerrissen ist?«, fragt sie dann.
»Nee! Aber du wirst es mir bestimmt gleich erzählen.«
Meine Mutter schnippt eine fettleibige graugrüne Raupe von einem Nachtviolenblatt.
»Du wirst es nicht glauben«, sagt sie dann. »Margot klebt die Risse von innen mit Tesafilm zu!«
In Gedanken versuche ich mir vorzustellen, wie das aussehen könnte. Die Freundin meiner Mutter steht also in ihrem Garten, und alles, was ihr zwanzig Jahre altes Kleid noch zusammenhält, sind 346 Tesafilmstreifen, die von innen am Stoff kleben? Unglaublich.
Während ich mir noch Margot in ihrem Tesafilmkleidchen vorstelle, macht sich plötzlich Lorenzo bemerkbar, der im angrenzenden Garten gespielt hat.
»Hallihallo« ruft er, »hast du schon gesehen, dass ich deine Gießkannen woanders hingestellt habe?«
Der kleine Junge steht auf dem Gartentisch des Nachbargrundstücks, um über die Buchsbaumhecke sehen zu können. Er winkt uns zu und strahlt vor Freude darüber, dass er meine Mutter und mich entdeckt
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