Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
»ich glaube, das Brummen, das du nachts hörst, kommt nicht vom Videorekorder.«
Meine Mutter starrt verblüfft auf die Rückseite des Gerätes. »Ja, aber ich höre doch etwas! Was kann das denn sein, Laura?«
Ich weiß es nicht. Vielleicht hört Muddi im Halbschlaf das Knurren unseres verstorbenen Dackels, oder sie hat sehr lebendige Erinnerungen an das Schnarchen meines Vaters. Der Videorekorder ist jedenfalls definitiv nicht die Quelle des Geräusches. Und somit kann Muddi sich diese Ausrede zukünftig sparen.
»Und was genau hast du nun der Ohrenärztin gesagt?«, frage ich, da wir gerade beim Thema Geräusche sind. »Besorgst du dir ein Hörgerät?«
»Bist du wahnsinnig, Laura? Dann hängt mir das Ding hinten am Ohr rum, und jeder kann es sehen! Und alle denken: Ach, guck mal, die Alte, nu isse auch noch taub! Nee, Laura, ich brauch das nicht. Bis jetzt hab ich immer alles verstanden, was man mir erzählt hat. Ich kann noch ganz gut hören!«
Muddi streicht mit schwungvollen Bewegungen Honig auf ihr Toastbrot, und ich gebe mich vorerst geschlagen. Hier und heute ist sie bestimmt nicht vom Nutzen medizinischer Hilfsmittel zu überzeugen. Die Gelegenheit dazu kommt schon noch. Ich ahne allerdings nicht, dass es schon kurze Zeit später beim Einkaufen so weit sein wird.
Meine Mutter und ich stehen nach zweistündiger Einkaufstour endlich am Laufband einer Kasse. Ich hinter Muddi, vor Muddi ein Mann, den ich auf Ende zwanzig schätze. Er plant wohl ein edles Abendessen mit seiner Liebsten: Eine Flasche Merlot, Trüffel und vier kleine tiefgefrorene Wachteln auf dem Laufband deuten darauf hin. Respekt, denke ich, der Gute weiß, wie er seine Freundin verwöhnen kann …
Anerkennend lächelnd, nicke ich dem jungen Mann zu.
Muddi packt derweil vier Tafeln dunkler Schokolade, feinherb, aufs Laufband.
Der junge Mann zwinkert mir zu und beugt sich herüber.
»Ist schon erstaunlich, was man so alles zaubern kann … aus solch ollen Wachteln!«, sagt er.
Meine Mutter richtet sich auf, sieht erst den Unbekannten an, dann die Kassiererin und schließlich mich. Sie schäumt vor Wut.
»Laura! Hast du das gehört? Das ist ja wohl unerhört! Gott, wenn das dein Vaaater gehört hätte! Jetzt trödel ich dem wohl zu lange rum hier, oder was?«
Ich bin mehr als irritiert ob dieses unerwarteten Ausbruchs.
»Was, um Himmels willen, meinst du?«, frage ich sie.
Meine Mutter stemmt die Hände in die Hüften und schimpft unbeirrt weiter: »Der hat mich doch tatsächlich ›olle Schachtel‹ genannt!«
Es dauert eine Sekunde, bis mir klar wird, dass sie ihn einfach falsch verstanden hat. Wir verlassen mit hochrotem Kopf den Supermarkt. Meine Mutter, weil sie so wütend ist, ich, weil es mir so peinlich ist.
Als ich es ihr später erkläre, ist sie zwar zunächst unwillig, dann aber ist ihr das Ganze furchtbar unangenehm. Wir vereinbaren endlich, dass ich sie am darauffolgenden Morgen zur Ohrenärztin fahre. Muddi wird sich endlich ein Hörgerät zulegen! Sie hat eingesehen, dass es keinesfalls peinlicher sein kann, ein Stück Plastik hinterm Ohr zu tragen, als fremde Leute zu beschimpfen, die man falsch verstanden hat. Hört, hört!
40
»Die Gummistiefel hat sie ihm noch ausgezogen!«
W as hält Paare zusammen? Die Ehe meiner Eltern war recht glücklich. Muddi hatte die Hosen an, aber die Verbindung war dennoch harmonisch. Denn mein Vater wusste, wie er endlosen Diskussionen mit ihr aus dem Weg gehen konnte. Er verschwand einfach heimlich aus dem Wohnzimmer, ging die Treppe hinunter und durch die Haustür auf den Hof. Dann verschwand er in seiner Werkstatt, um dort etwas zu basteln oder zu reparieren.
Auch wenn Muddi meistens das letzte Wort hatte, mein Vater war ein Macher. Er konnte irgendwie alles. In Haus, Hof und Garten. Und er war recht kreativ, malte und dichtete. Außerdem konnte er Konflikte lösen. Zuverlässig sein. Und er war ein liebevoller Vater. Streng, aber gerecht. Er hatte stets ein Ohr für den Kummer und die Nöte seiner Kinder. Er war nie bösartig, ungerecht oder egoistisch.
Wenn ihm allerdings etwas wichtig war, setzte er das auch durch.
Als er in der Werkstatt ein neu erstandenes Blechschild aufhängte, das eine Werbung für den alten VW Käfer zierte, rief meine Mutter: »Gott, Kuuurt, was willst du bloß mit dem alten Ding? Das ist doch rausgeworfenes Geld. Kein Schwein sieht es sich an!«
»Doch. Ich«, lautete die trockene Antwort meines Vaters.
In seinem Beruf war er sehr
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